Heute kommt er nun also - der längst überfällige, in mehreren Anläufen entstandene erste Bericht über unsere Erfahrungen an der Förderschule - am 11. Februar ergänzt durch einen verstörenden Vorfall. Vorab sei gesagt, dass mit Förderschule immer unsere Förderschule gemeint ist bzw. unsere Erfahrungen dort beschreibt.
Seit mittlerweile 1,5 Jahren besucht Henri eine Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung. Die meisten der Kinder, die dort lernen, haben neben ihrer körperlichen auch eine kognitive Beeinträchtigung. So wie Henri, bei dem aufgrund des komplexen Herzfehlers und seiner Rückenerkrankung einerseits und der Trisomie 21 andererseits Einschränkungen auf beiden Gebieten gegeben sind. Zur Erklärung der Begrifflichkeiten: Seit einiger Zeit wird nicht mehr von geistig behinderten Kindern gesprochen, sondern von von Kindern mit einer kognitiven Beeinträchtigung bzw. Kindern mit Förderbedarf geistige Entwicklung. Auf die Verwendung bzw. auch Vermeidung bestimmter Begrifflichkeiten bin ich ja bereits im vorletzten Blogbeitrag eingegangen.
Ich habe lange gezögert, unsere Erfahrungen in diesem Rahmen öffentlich zu machen. Aber jetzt ist die Zeit da für einen Zwischenbericht. Wer kein behindertes Kind hat oder sich im Rahmen einer pädagogischen Tätigkeit mit Teilhabe und Inklusion auseinandersetzt, kann sich nicht vorstellen, wie der Alltag an Förderschulen aussieht und was Eltern wie uns beschäftigt. Natürlich kann ich nur für uns und von unseren Erfahrungen sprechen. Jedoch weiß ich, dass wir damit nicht alleine stehen - ich weiß es von persönlichen Berichten anderer Eltern, aber auch von Blogs, in denen (fast immer die) Mütter von ihren Erfahrungen und Sorgen berichten und andere kommentieren, dass es ihnen ganz genauso geht. Manche kämpfen bis zum letzten Schultag für die Bildung ihrer Kinder - sie reiben sich dabei auf und tun alles, um ihrem Kind das zu ermöglichen, was für jedes Kind ohne Behinderung selbstverständlich ist: Lernen zu dürfen! Und damit die Chance zu bekommen, Kompetenzen zu entwickeln, die für den Rest des Lebens nicht nur im Beruf, sondern auch im Alltag hilfreich sind (Lesen und Schreiben zum Beispiel, darauf komme ich noch). Wie wertvoll diese Möglichkeit zu lernen ist, das lernt man erst richtig schätzen, wenn man wie wir ein Kind hat, bei dem es seitens der Schule auf einmal ganz andere Prioritäten und Maßstäbe gibt. Anders als man es von seinen anderen Kindern (ohne Einschränkung) kennt und u.U. auch anders, als man es in Zeiten einer inklusiven Beschulung erlebt hat.
Der Übersichtlichkeit halber gliedere ich diesen Blogbeitrag und beginne mit den Eckdaten:
1.Klasse und Personal
Henri ist in einer Klasse mit sechs Schülern. Es handelt sich um eine - wie die Klassenlehrerin sagt - reine G-Klasse, also Kinder mit einer kognitiven Beeinträchtigung, die aber zusätzlich auch eine körperliche und/oder motorische Beeinträchtigung haben. Die Klasse wird unterrichtet von der Klassenlehrerin (Förderschullehrerin) und einer sog. pädagogischen Fachkraft. Zusätzlich gibt es noch eine Integrationsassistentin, die einer bestimmten Schülerin, die im Rollstuhl sitzt, zugeordnet ist. Sechs Kinder und drei Erwachsene also. Häufig sind Kinder krank, dann verschiebt sich das Verhältnis. Manchmal ist auch eine Lehrerin krank, dann gibt es nur eine Lehrerin und die Assistentin für die gerade anwesenden Kinder.
2.Transparenz und Erreichbarkeit
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann zuerst (und vor allem anderen!) Transparenz.
Ich kenne nicht alle Vornamen von Henris Mitschülern, Familiennamen gar keine. Denn es gibt keine Klassenliste, auf der die Kinder und deren Elternhäuser mit Kontaktdaten zu finden sind. Es gab auch nie ein Angebot, sich auf einer solchen Liste einzutragen. Ich kenne den Grund nicht, aber es könnten (?) Datenschutzgründe sein. Bevor wir Henri an der Schule angemeldet haben, habe ich gefragt, ob ich vielleicht einmal hospitieren und Henri einen Tag begleiten könnte. Aus Gründen des Datenschutzes wollte man dieser Bitte nicht nachkommen. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, dass es dann aber bestimmt einmal einen Tag der Offenen Tür / ein Gläsernes Klassenzimmer o.ä. gäbe, an dem Eltern die Möglichkeit haben, ein bisschen Schul- und Klassenluft zu schnuppern. Auch das ist an der Schule nicht möglich - als Eltern ist man aber nicht nur deshalb außen vor.
Wie allgemein bei behinderten Kindern (Ich nenne sie jetzt einfach mal so.) üblich, wird auch Henri jeden Morgen zuverlässig von einem Schulbus abgeholt und nach Schulschluss wieder nach Hause gebracht. Der Bus hat neben dem Fahrer noch eine Hilfskraft, die Henri den Ranzen abnimmt und ihm ins Auto hilft. Wenn wir mit Henri unterwegs sind, ist Henri natürlich selbst für seine Sachen zuständig und steigt auch alleine ein und aus. Aber das Buspersonal meint es sicher gut mit den behinderten Kindern und ich wollte diese eigentlich unnötige Unterstützung bis heute nicht kritisieren. Den Bus erwähne ich, weil es aufgrund dieser Einrichtung keinen direkten Kontakt zwischen Eltern und Schule gibt. Wenn Eltern alle angebotenen Termine wahrnehmen, sind sie pro Jahr viermal an der Schule: Einmal zum Elternabend, jeweils einmal pro Halbjahr zum sog. Förderausschuss und außerdem zu dem sehr öffentlichkeitswirksam gestalteten Sommerfest, an dem regelmäßig nicht nur die örtliche Prominenz, sondern auch überörtliche Redner Grußworte an die Gäste richten - zuletzt unser Ministerpräsident.
Es ist an Regel- und Privatschulen allgemein üblich, dass das Elternhaus zu Beginn eines Schuljahres eine Liste mit benötigten Lehrwerken, Heften und Materialien bekommt. Die Eltern besorgen die Sachen und können im Laufe des Schuljahres verfolgen, wie diese Materialien genutzt werden. Zum Beispiel auch, wenn die Kinder Hausaufgaben machen. Was für uns vorher selbstverständlich war, gilt jetzt nicht mehr. Wir können keinen Blick in Hefte oder Bücher werfen oder uns zeigen lassen, was Henri gelernt/ gemacht hat. An der Förderschule werden die Materialien von der Schule angeschafft und bleiben auch dort - immer. Ich weiß nicht, womit Henri arbeitet und kenne - bis auf eine Ausnahme - kein einziges Buch oder Heft. Ich weiß nicht, mit welchen Büchern er in der Schule arbeitet und auch nicht, ob er Hefte benutzt. Die Ausnahme ist das sog. Erlebnisheft. Darin schreibt Henri zwei- bis dreimal pro Woche in der Schule in wenigen Sätzen auf, was er gemacht hat. Oft bleibt keine Zeit für einen Eintrag oder es reicht nur für einen Satz. Auch zu Hause schreibt er in dieses Heft, dann aber meist ausführlicher - zu Hause scheint mehr Zeit zu sein. Das Schreiben ins Erlebnisheft ist Henris einzige Hausaufgabe - es gibt sonst keine Hausaufgaben. Gäbe es Hausaufgaben, hätte ich mehr Einblick, was er in der Schule gerade macht und könnte es zu Hause mit ihm vertiefen. Hätte er seine Bücher und Hefte - wie unsere nicht behinderten Kinder - in seinem Ranzen (den er ja dank Fahrservice nicht schleppen muss), hätten wir (ohne Mehrbelastung der Lehrer) deutlich mehr Einblick in den Schulalltag. Es wären nicht einmal erklärende Worte notwendig. Wie sehr würde ich mich freuen, ich könnte den Ranzen zusammen mit Henri ausräumen und mir zeigen lassen, was er gemacht hat! Alles wäre transparenter, wenn Henri zu Hause über die Schule reden würde. Da er aber so gut wie nichts erzählt, ist die Schule für uns mittlerweile tatsächlich das, was sie nach des Rektors Worten beim Einschulungsgespräch bestimmt nicht ist: Eine Blackbox.
Die Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus läuft fast ausschließlich über das MIA-Heft (Spiralheft im DIN A4-Format mit jeweils zwei Seiten für fünf Schultage für Mitteilungen, Information und Aufgaben.) Nachdem wir uns mit Henris Klassenlehrerin etwa drei Monate über kurze Mitteilungen im MIA-Heft ausgetauscht hatten und ich den Eindruck hatte, es gäbe ein gewisses Vertrauensverhältnis, habe ich sie nach einer Möglichkeit gefragt, wie ich sie persönlich erreichen kann. Von allen anderen Schulen kenne ich es so, dass wir eine E-Mail-Adresse und/ oder eine Telefonnummer haben, um die Lehrer im Bedarfsfalle erreichen zu können. Man möge mir glauben, dass ich dies nie ausgenutzt habe und mit Anrufen bei Lehrern äußerst sparsam war. Wenn mir etwas auf dem Herzen lag, habe ich es in der Regel in einer E-Mail formuliert und der Lehrerin / dem Lehrer überlassen, ob sie mich anrufen oder mir lieber schreiben mag. Ich war dabei immer wieder erstaunt und auch dankbar, wie schnell und offen mit meinen Anliegen umgegangen wurde. Auch an Amelies Gymnasium gestaltet sich der Kontakt so, wie ich es von unseren Großen an der Waldorfschule kenne.
Umso überraschter bin ich, dass Henris jetzige Lehrerin es kategorisch anlehnt, mir auch nur eine Kontaktmöglichkeit zu nennen. Die Lehrer seien über die Schule sehr gut erreichbar und wenn ich ein Anliegen hätte, könne ich mich jederzeit mit dem Sekretariat in Verbindung setzen. Warum dies so strikt gehandhabt wird, wollte ich wissen und habe doch nur die Antwort bekommen, dass dies an der Schule eben so sei. Ich sprach von meinen bisherigen Erfahrungen und versicherte ihr, dass sie sich verlassen könne, dass ich sie ganz sicher nicht belästigen würde - es blieb bei einem Nein. Sie sei über die Schule erreichbar. Sie kenne es auch nur so, an ihrer letzten Schule sei es ganz genauso gewesen. Darüber habe ich mich nur kurz gewundert, denn mir ist schnell eingefallen, dass ihre letzte Schule natürlich auch eine Förderschule war. Daraufhin habe ich in meinem Umfeld bei über zwanzig befreundeten Eltern und Lehrern eine kleine Umfrage gemacht und durfte dabei feststellen, dass mein Wunsch nach der Möglichkeit einer persönlichen Kontaktaufnahme alles andere als abwegig ist. Für andere Eltern ist es normal, die Klassen-/ Bezugslehrer ihrer Kinder erreichen zu können - an der (unserer) Förderschule legen die Lehrer ganz offensichtlich mehr Wert auf Privatsphäre als an anderen Schulen tätige Lehrer. Wobei mir nicht einleuchtet, inwieweit es die Privatsphäre verletzt, wenn man Eltern eine personalisierte Schul-E-Mail-Adresse gibt. Eine solche habe ich nur von der stellvertretenden Schulleitung, aber diese Lehrerin mag ich nicht anschreiben, wenn es um Aktuelles geht. Da ich nicht bereit bin, persönliche Anliegen an eine allgemeine Schuladresse zu schreiben, wird es für uns auch weiterhin nur die Möglichkeit geben, zu den Öffnungszeiten des Sekretariats bei der Schule anzurufen und um Rückruf zu bitten.
Wenn ich von der Lehrerin angerufen werde, dann nur anonym - also auf die gleiche Weise, auf die mich Vertreter und Verkäufer kontaktieren. Einmal wurde die Verbindung unterbrochen und in einem ersten Impuls dachte ich mir, ich rufe sie schnell zurück - ging natürlich nicht. Für anonyme Anrufer mit unterdrückter Rufnummer gibt es keinen Rückruf. Ich empfinde diese an der Förderschule offenbar gängige Praxis weniger als persönliche Kränkung, sondern vielmehr als Ausdruck der allgemeinen Haltung den Eltern gegenüber. Wie so vieles andere geht auch die Kontaktaufnahme nur in eine Richtung. Von zwei befreundeten Förderschullehrerinnen (die an allgemeinen Schulen unterrichten) weiß ich, dass es durchaus auch anders sein kann. Sie freuen sich, wenn Eltern interessiert sind an der Förderung ihrer Kinder und schätzen deren Engagement. Für sie sind die Eltern Teil einer guten Förderung und werden daher einbezogen.
Die strikte Haltung der Lehrerin rührt nicht etwa von einem unsympathischen Wesen - wenn wir sie sehen, ist sie eigentlich immer freundlich und zugewandt. Sie scheint eher der Tatsache geschuldet zu sein, dass an der Förderschule eine ungewöhnlich starre Grenze zwischen Lehrern und Eltern gezogen wird, die durch zu viel Entgegenkommen den Eltern gegenüber aufgeweicht werden könnte. Hier die Lehrer - dort die Eltern.
! Aktuell - ein Einschub vom 11. Februar 2020, der alles, was ich bisher (vom 15. Dezember bis heute) geschrieben habe, in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Was mangelnde Transparenz und das Fehlen von Absprachen bewirken können, schildere ich nun an einem Beispiel, das sich heute zugetragen hat. Zunächst und zum besseren Verständnis, der Rahmen des Ganzen. Henri isst jeden Tag im Speiseraum der Schule zu Mittag - das Essen wird von einer Großküche bezogen. An den sog. langen Tagen bekommt Henri ein eigens für ihn zusammengestelltes, glutenfreies Essen. An den sog. kurzen Tagen isst er auch dort, aber nicht das allgemeine Essen, sondern etwas, was ich zu Hause vorbereitet habe, und was dort aufgewärmt wird. Dienstag ist ein kurzer Tag und Henri hatte sich schon am Wochenende Nudeln mit Pesto gewünscht. Wir haben ihm das Essen wie immer in einem Glasgefäß mitgegeben und wegen seiner Vorfreude habe ich mich schon auf sein "Leckeres Essen, Mama!" gefreut...
Als Henri heute nach Hause kam, war er noch wortkarger als sonst und wirkte traurig. Ich fragte ihn, ob es ihm nicht gut gehe und ob er krank oder traurig sei. Sein gutt! war nicht überzeugend, aber es war nichts aus ihm herauszubekommen. Als ich dann das Gefäß auspackte, fiel mir auf, dass es noch ganz voll und unangerührt war. Ich fragte Henri, warum er nichts gegessen habe - er hat immer einen guten Appetit und noch nie Reste nach Hause gebracht. Aber er stand wie neben sich und gab mir keine Antwort. Ich machte mir Sorgen und rief im Sekretariat, schilderte die Situation und erhoffte mir Klärung. Es war mir ein Rätsel, warum Henri nichts gegessen hat. Die Sekretärin fragte, ob sie vielleicht in der Schule gekocht hätten... Ich gab die Frage direkt an Henri weiter und er nickte, mehr nicht. Bisher ist es einmal vorgekommen, dass die Schüler gekocht haben und die Klassenlehrerin mir zuvor eine Notiz ins MIA-Heft geschrieben hat, dass ich Henri nichts mitgeben müsse. Dieses Mal stand nichts im MIA-Heft: Weder eine Vorankündigung noch eine Notiz, warum Henri nicht gegessen hat. Die Sekretärin sagte, sie lege der Lehrerin, die heute auf Fortbildung gewesen sei, einen Zettel ins Fach. Nach dem Gespräch schaute ich in Henris Erlebnisheft - das Heft, in das er in der Schule und zu Hause einträgt, was er gemacht hat. Heute hat Henri in diesem Heft eingetragen, dass sie Spinat, Püree und Fischstäbchen gekocht haben. Er habe mit M. und M. den Quark gemacht. Unter diesem Eintrag fand ich eine merkwürdige Nachricht der pädagogischen Fachkraft. Das Heft ist nicht für Mitteilungen vorgesehen, es ist Henris Schreibheft und nur er schreibt darin. Für Mitteilungen gibt es das MIA-Heft, in dem diese Woche aber nur eine Info von mir zu finden ist.
"Henri hat sehr gut gegessen. Er wollte danach noch sein eigenes Essen essen, aber ich habe ihn nicht gelassen. Da flossen dann auch ein paar Tränen. Anscheinend war er der Ansicht, er müßte[sic]sein Essen unbedingt essen u. darf es nicht nach Hause bringen. Liebe Grüße "
Sofort rief ich wieder im Schulbüro, um etwas richtigzustellen. Nie und immer ist Henri der Ansicht, dass er sein Essen nicht nach Hause bringen darf! Eigentlich wollte ich nur richtigstellen, dass ich Henri nicht zum Essen zwingen würde und bat, auch dies der Klassenlehrerin auszurichten. Nachdem ich aufgelegt hatte, brach es dann aus Henri heraus ... er weinte und umarmte mich und endlich verstand ich den Grund für Henris Traurigkeit. Er musste das Essen und die Fischstäbchen essen. Er wollte die Nudeln essen, aber Frau C. habe gesagt, dass er die Fischstäbchen essen müsse. Und dann sagte er noch weinend Fischstäbchen mit Weizen. Wer Henri kennt, weiß, wie diszipliniert er ist. In zahllosen Krankenhausaufenthalten hat er viele schlimme Eingriffe aushalten müssen und ich vermute, das ist der Grund, warum er nie etwas tun würde, wovon wir sagen, dass es ihm schaden kann. Aufgrund seiner Zöliakie rührt Henri kein unbekanntes Essen an, ohne zu fragen, ob es glutenfrei ist. Ich fragte, ob er denn nicht eigene, glutenfreie Fischstäbchen bekommen habe und er verneinte. Dieser Vorfall ist aus meiner Sicht doppelt schlimm. Erstens, weil es ein Unding und pädagogisch indiskutabel ist, ein Kind zu zwingen, etwas zu essen, das es nicht mag - insbesondere, wenn es sich so auf das andere Essen gefreut hat. Dabei noch die strikte und überall vermerkte Zölikie-Diät zu missachten, geht gar nicht. Dass so etwas an einer Förderschule passiert, wo der Betreuungsschlüssel in der Regel besser als bei uns zu Hause ist, ist mir unerklärlich. Zudem finde ich es menschlich enttäuschend, wenn eine pädagogische Fachkraft diese für Henri belastende Situation im Nachhinein so darstellt, als habe Henri die Nudeln nicht essen wollen und sei vielmehr - ich wiederhole! - der Ansicht, "er müßte[sic]sein Essen unbedingt essen u. darf es nicht nach Hause bringen". Nicht nur, dass meinem Kind Zwang angetan und gesundheitlicher Schaden zugefügt wurde. Es hinterher noch so darzustellen, als sehe das Kind sich gezwungen, das eigene Essen zu essen, weil es von zu Hause so erwartet wird, ist eine unerhörte Verdrehung der Tatsachen. Der heutige Vorfall ist (im Jahr 2020) an keiner anderen Schule denkbar - überall gingen die Eltern gingen auf die Barrikaden, wenn ein Lehrer ihr Kind gezwungen hätte, etwas zu essen, was es nicht mag. Man muss es so offen sagen: Was Henri erlebt hat, konnte nur passieren, weil er geistig behindert ist und seine Interessen nicht ausreichend vertreten konnte.
Diesen Blogeintrag habe ich bereits im Dezember begonnen und immer wieder ergänzt. Bisher habe ich versucht, mich emotional zurückzuhalten und mich, was die Menschen an dieser Schule betrifft, immer bemüht, das Gute zu sehen. Sie machen vieles anders, als ich es mir wünsche - aber sie meinen es gut... dachte ich. Was heute passiert ist, hätte ich bis heute nicht für möglich gehalten und so kommt es, dass ich die Situation nun auch, was den menschlichen Umgang betrifft, anders bewerte. Dennoch schreibe ich den Eintrag nicht noch einmal um - nur einen Vermerk werde ich an entsprechender Stelle ergänzen.
3. Der Stundenplan - was Henri lernt
Das ist Henris Stundenplan. Seit diesem Schuljahr ist er in der sog. Werkstufe. Die Werkstufe geht in der Regel über einen Zeitraum von zwei Jahren. Seit dem letzten Elterngespräch, das aber - korrekt ausgedrückt- kein Elterngespräch, sondern ein sog. Förderausschuss ist, weiß ich, dass sie vor allem dazu dient, die Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler zu vergrößern und sie damit auch auf die Arbeit in der "Behindertenwerkstatt" vorzubereiten. Ich benutze diesen Begriff, weil so auch auf diesem Gebiet unerfahrene Leserinnen und Leser direkt wissen, was damit gemeint ist - korrekterweise müsste ich Werkstatt für angepasste Beschäftigung sagen.
Arbeiten / Praxistag / Einkaufen / Hofdienst
Wie ihr seht, steht das "Fach" Arbeiten jeden Tag auf dem Plan. Auf einem Stundenplan, den uns die Klassenlehrerin beim Elternabend gegeben hat, ist Arbeiten durch Förderunterricht ersetzt. Beim Elternabend, an dem außer uns noch ein Elternteil teilgenommen hat, habe ich mir dazu Klassendienste als Notiz gemacht. Förderunterricht umfasst also vor allem Klassendienste und von daher ist Henris Arbeiten (das er sicher irgendwo abgeschrieben hat) eigentlich ganz zutreffend. Für mich persönlich ist Förderunterricht mit anderen Inhalten besitzt als Arbeiten oder Klassendienste ... es kommt eben darauf an, was gefördert werden soll. Für Eltern nicht behinderter Kinder wäre es vermutlich undenkbar, dass ihre Kinder im Rahmen des Förderunterrichts Tafel wischen oder Blumen gießen. Was im Rahmen von Arbeiten bzw. Förderunterricht genau gefördert werden soll, weiß ich nicht.
Aber ich weiß, dass am sog. Praxistag gekocht, genäht und gewerkt wird und zwar (meist) zusammen mit einer sog. Partnerklasse. Die Kinder der Partnerklasse scheinen in etwa das gleiche Alter wie Henri zu haben und manchmal gibt es gemeinsame Aktivitäten. Schon vor Henris Anmeldung haben wir uns interessiert, ob er wohl in die gleiche Klasse kommen wird, in der er auch hospitiert hat. Das konnte zu dem Zeitpunkt aber niemand sagen, denn die Klassen werden jedes Jahr neu zusammengestellt und selbst Angestellte der Schule haben mir gesagt, dass es keine eindeutigen Kriterien gebe, wer in welche Klasse kommt. Man schaut "individuell", wie es passt.
Letztens hat meine Schwägerin mir berichtet, dass sie Henri mit einer Gruppe im Aldi gesehen hat und er sie dort freudig begrüßt habe. Mir hat er noch nie vom Einkaufen erzählt, aber er scheint einkaufen zu gehen.
Ich habe Henri gefragt, was er eigentlich beim Hofdienst macht - und bekam keine Antwort. Natürlich wäre ich - und das muss ich immer wieder betonen - viel besser informiert, wenn Henri zu Hause über die Schule sprechen würde. Er tut es aber nicht oder nur ganz selten. Dennoch trägt Henri nicht die Verantwortung dafür, dass wir uns als Eltern fast durchgehend schlecht informiert fühlen. Da es sich um eine Förderschule handelt und es sicher viele Schülerinnen und Schüler gibt, die zu Hause nichts von der Schule berichten können/wollen, wäre es wünschenswert, wenn von der Schule Infos über die Ausgestaltung der Fächer kämen. Weil ein einstündiger Elternabend einmal im Jahr dafür nicht ausreicht, wäre es sinnvoll, über einen anderen Rahmen nachzudenken. Man könnte häufiger Elternabende (es müsste ja nicht jeden Monat wie an der Waldorfschule sein) oder ergänzende Elterngespräche für interessierte Eltern anbieten. Man könnte die Mitteilungen im MIA-Heft etwas ausführlicher gestalten und es gäbe - wenn dies auch im Interesse der Lehrer wäre - sicher auch noch einige andere Möglichkeiten. Wir würden es jedenfalls sehr schätzen, vom Klassenteam regelmäßig grundlegende Infos über die Inhalte der einzelnen Fächer zu bekommen. Selbst wenn alle Möglichkeiten an einer Überlastung der Lehrer scheitern würden, könnte man es immer noch so handhaben, dass die Kinder ihre Lernmaterialien mit nach Hause nehmen dürfen - wie an jeder anderen Schule auch.
Sachunterricht
Laut Plan hat Henri einmal pro Woche Sachunterricht. Was dort gemacht wird, weiß ich nicht. Am Elternabend habe ich mir nur Geocashing notiert. Nach meinen Recherchen funktioniert das mit einem Handy. Da Henri sein Handy nicht mit in die Schule nimmt, müssten sie das mit schuleigenen Handys tun... was ich mir nicht so richtig vorstellen kann. Es wäre doch klasse, wenn Henri ein Sachheft / einen Ordner hätte, anhand dessen er mir vom Unterricht berichten könnte.
Kunst / Musik
Zum Fach Kunst habe ich mir auf dem Elternabend zwei Notizen gemacht: Andy Warhol und Keith Haring. Machen die Schüler Bildbetrachtungen, malen sie Bilder dieser Künstler ab? Ich habe noch kein Bild gesehen und weiß auch nicht, ob es in der Schule vielleicht eine Sammelmappe mit Bildern gibt.
In Musik wird wohl gesungen und manchmal getrommelt. Diese Woche hat Henri in sein Erlebnisheft geschrieben, was er in Musik gemacht hat. Das Folgende hat er geschrieben: Wir haben gesungen ohne Krimi geht die Mimi ins Bett. Ich kenne das Lied aus Erzählungen meiner Mutter. Ich hatte mir vorgestellt, dass es an der Förderschule eine Möglichkeit gibt, Henris Klavierspiel in irgendeiner Weise einzubeziehen. Dass er zum Beispiel in einer Band mitspielt oder sich bei Festen/Aufführungen einbringen kann. Dies ist in den vergangenen Jahren im Rahmen einer Verabschiedungsfeier einmal geschehen. Die stellvertretende Schulleiterin hatte mir danach eine (nicht anonyme) E-Mail geschrieben und berichtet, wie gut Henri gespielt habe und wie stolz er offensichtlich war, in der Schule vorspielen zu dürfen. Über diese E-Mail war ich gerührt - nicht nur wegen der netten Rückmeldung, sondern auch darüber, dass sich jemand von der Schule die Mühe gemacht hat, uns zu schreiben - ganz persönlich und sogar mit der Möglichkeit, eine Antwort zu bekommen.
Schon Monate vor dem vergangenen Weihnachtsfest sprach Henri zu Hause davon, bei einer Weihnachtsfeier an der Schule vorspielen zu können (oder meinte er wollen?) Wir haben eigens ein Klavierheft mir leichten Noten angeschafft und über ein paar Wochen zwei Lieder eingeübt. Kurz vor Weihnachten habe ich dann erfahren, dass im Rahmen der schulinternen Weihnachtsfeier dazu leider keine Zeit ist - Henri hatte sich wirklich gefreut und fleißig geübt und es ist mir richtig schwergefallen, ihm zu erklären, dass alles ein Missverständnis war und leider keine Zeit für sein Vorspiel ist. Vielleicht würde es ihm gefallen, wenn ich ihn zu dieser Weihnachtsfeier begleiten könnte, dachte ich mir und fragte bei der Lehrerin nach. Bei der Weihnachtsfeier gebe es aber leider keinen Platz für Eltern, weil es raumtechnisch nicht möglich sei. Wehmütig dachte ich an das Adventssingen an der Waldorfschule zurück, wo wir jahrelang zusammen mit Kindern, Eltern und Lehrern gesungen haben. Nicht alle hatten einen Sitzplatz, aber alle haben mitgesungen. Diese gemeinschaftliche Miteinander vermisse ich sehr.
Da das Vorspiel bei der Weihnachtsfeier nun also ausgefallen war, schlug uns die Klassenlehrerin vor, dass Henri bei dem für Januar geplanten Neujahrsempfang für die Schüler und Eltern der Klasse spielen könne - ein kleinerer Rahmen, aber eine tolle Gelegenheit. Henri freute sich richtig, endlich vorspielen zu dürfen und übte zwei seiner Lieblingsstücke besonders intensiv. Fast jeden Tag sprach er von seiner - wie er es nannte - Aufführung. Kurze Zeit vor dem "Empfang" (an dem fünf Schüler, die Lehrerin, die Assistentin und ich als einziges Elternteil teilgenommen haben) haben ich dann erfahren, dass das Vorspiel leider nur möglich wäre, wenn Henri sein eigenes Keyboard mitbringen würde. Weil er aber kein Keyboard, sondern nur ein Klavier hat und das schuleigene Klavier nicht "einfach" innerhalb des Schulgebäudes bewegt werden kann, musste auch dieses Vorspiel ausfallen. So schade für Henri!
Schwimmen
Das Fach Schwimmen stand eigentlich schon im letzten Schuljahr auf dem Programm. Warum Henri dennoch kein Schwimmen hatte, weiß ich nicht. Dieses Jahr nun hat er ganz offiziell Schwimmen - schade nur, dass es bisher seltener statt- als nicht stattgefunden hat. Der Grund für die häufigen Ausfälle: Oft sind Kinder krank und dann lohnt es für die anderen nicht. Auch wenn eine der beiden Lehrerinnen krank ist, findet kein Schwimmen statt. Diese Woche wird das Schwimmbad renoviert - kein Schwimmen.
Henri ist ein recht guter Schwimmer - er trainiert zweimal wöchentlich im Schwimmverein. Deshalb hatte ihm die Klassenlehrerin zu Anfang des Schuljahres in Aussicht gestellt, dass er an den Paralympics in Berlin teilnehmen und dafür auch im Rahmen des Schwimmunterrichts trainieren könnte. Am Tag des Neujahrsempfangs habe ich nachgefragt und erfahren, dass die Anmeldefrist für Berlin leider verstrichen ist. Dafür sei aber eigentlich die Schwimmlehrerin zuständig. Warum Henri nicht angemeldet wurde - ich weiß es nicht. Wieder einmal weiß ich es nicht. Und wieder schade für Henri! Zum Trost wurde er dann aber kurzfristig für eine Art Schwimmwettbewerb der K-Schulen im Saarland (nähere, über das Datum hinausgehende Infos gab es weder von der Schule noch im Netz) angemeldet. Wie viele Schüler dort waren, weiß ich nicht. Auf meine Nachfrage hin habe ich erfahren, dass insgesamt zwei Schulen teilgenommen haben und Henris Schule Zweiter wurde...
Deutsch und Mathe
Einmal in der Woche hat Henri Deutsch und einmal Mathe. Ich weiß nicht, was Henri im Fach Deutsch lernt. Vielleicht hat jemand die Idee, ich könne ja in seinen Büchern und Heften nachsehen. Das ist aber, wie bereits beschrieben, an Henris Förderschule leider nicht möglich. Sämtliches Lehrmaterial bleibt nur in der Schule und ich weiß nicht einmal, ob Henri dort Bücher und Arbeitshefte hat und - falls ja - was und wie er daran arbeitet. Es gibt auch keine Hausaufgaben, die bei Regelschülern den Zweck haben, dass das in der Schule Erlernte zu Hause gefestigt wird.
Auch im Rahmen der Freiarbeit, die einmal wöchentlich auf dem Plan steht, darf Henri - je nach zeitlicher Verfügbarkeit - manchmal Deutsch lernen. So sagte es die Lehrerin in dem einzigen Gespräch in diesem Schuljahr. Von der Ausgestaltung dieser Freiarbeit habe ich nur eine vage Vorstellung - ich weiß nur, dass Henri dabei vor allem selbständiger werden soll.
Bevor ich weiter berichte, gehe ich auf die meiner Meinung nach große Bedeutung der Kulturtechniken Lesen und Schreiben ein. Wie wichtig und wertvoll es ist, lesen und schreiben zu können, kann man sich leicht im Selbstversuch klarmachen. Stellt euch vor, ihr geht aus dem Haus - zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Sport oder zum Essen in ein Restaurant. Wenn ihr nicht selbst Auto fahrt, nehmt ihr den Bus oder den Zug. Daneben gibt es aber auch den Bereich der persönlichen Kontakte und dabei ständig Situationen, in denen man mit Menschen in Kontakt treten möchte, die gerade nicht da sind. Man sucht ihren Namen in der Kontaktliste und ruft an oder schreibt eine Textnachricht. Und wenn es gut läuft, kommt schon bald eine Nachricht zurück: Eine Antwort auf eine Frage oder ein paar liebe Zeilen, die einen vielleicht animieren, zurückzuschreiben. Stellt euch vor, wie euer Leben aussähe, wenn ihr mit Buchstaben und Zahlen nichts anzufangen wüsstet.
Man muss doch nicht Deutschlehrerin sein, um zu begreifen, welche Möglichkeiten einem Menschen fehlen, der diese Kompetenzen nicht hat. In unserem Fall war es so, dass ich mit Henri von Beginn der Grundschule an am Nachmittag das Lesen und Schreiben gelernt und geübt habe. In der Grundschule hatte er stets Lehrer und Lehrerinnen, die in Zusammenarbeit mit Förderschullehrerinnen bemüht waren, mit Henri die Kulturtechniken zu erweitern und zu trainieren. Als nicht weniger engagiert haben sich dabei auch die "ganz normalen" Lehrer gezeigt - also die ohne spezielle förderpädagogische Ausbildung. Sie hatten in der Regel ein sehr gutes Gespür davor, wo Henri steht und was möglich ist. Henri hat in diesen Jahren im Rahmen seiner Möglichkeiten am normalen Unterricht teilgenommen und wurde in Förderstunden individuell und seinem Bedarf entsprechend gefördert. Im Rahmen des normalen Unterrichts hat eine Integrationsassistentin mit Henri umgesetzt, was jeweils auf dem Förderplan stand. Weil Henri im großen Spektrum der Trisomie nicht eines der besonders begabten Kinder ist, war es zwar eine Kraftanstrengung ... aber es hat sich gelohnt (!) und ich bin heute noch allen dankbar, die mich dabei unterstützt haben, Henri Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben beizubringen. Henris Rechtschreibung ist immer noch stark ausbaufähig und auch das Lesen ist längst nicht so so wie bei anderen Kindern. Wie hilfreich aber auch Basics sein können, erlebe ich Tag für Tag und bin so froh, dass ich ihm diese Möglichkeit gegeben habe. Zum Beispiel hat er, als wir in Heidelberg am Bahnhof standen, auf ein Plakat gedeutet und zu seinem Papa gesagt Guck mal, "Jugendherberge" - wir waren dort. Keiner hatte ihn aufgefordert, den Text auf dem Plakat zu lesen, es ist ihm einfach so ins Auge gefallen - wie wohl jedem anderen Kind auch. Seit zwei Jahren ist Henri im Besitz eines Handys - er nutzt WhatsApp und noch ausgiebiger die Suchfunktion von Google. Er sucht im Netz nach Michel aus Lönnerberga und Dick und Doof, nach Vollmond und Wetter-Apps. Ich bin immer immer überrascht, wie gut er sich auf seinem Handy auskennt und wie er es schafft, Seiten, die ihn interessieren, aufzurufen.
- All das ginge nicht ohne Lesen und Schreiben -
Natürlich kann man auch ohne Lesen und Schreiben ein zufriedenes Leben haben, aber den Kindern, die die Fähigkeit haben, sollte das Erlernen zugestanden werden: Ob sie nun behindert oder normal begabt sind.
Jetzt komme ich zurück zur Gestaltung des Stundenplans. Fähigkeiten, die man nicht regelmäßig trainiert, verkümmern. Ich bin sicher, dass das, was Henri in den letzten neun Schuljahren gelernt hat, verloren ginge, wenn es nicht regelmäßig wiederholt würde. Weil ich einmal Deutsch pro Woche für viel zu wenig halte und auch nicht weiß, was er in Deutsch macht, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit Henri weiterhin auch zu Hause zu üben. In Buchhandlungen, aber auch im Internet habe ich viel gutes Material gefunden - Henri profitiert besonders von Büchern und Heften aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache für Jugendliche. Was andere, inklusiv beschulte Kinder mit einer geistigen Behinderung täglich in der Schule lernen und üben dürfen, läuft bei uns zu Hause - nach der Schule.
4. Individuelle Förderung?
Zweimal im Jahr gibt es an der Schule ein Gespräch zwischen Lehren und Eltern , den sog. Förderausschuss. Es dauert jeweils eine Stunde, die Lehrerinnen stellen darin den sog. Förderplan vor und fragen, ob man einverstanden ist. Im letzten Fördergespräch habe ich gefragt, ob es nicht möglich ist, dass in Henris Fall der Schwerpunkt mehr auf die Kulturtechniken gelegt wird. Ich berichtete, wie Henri an der allgemeinen Grund- und später an der Montessorischule täglich Lesen und Schreiben gelernt hat. Als ich von unseren Erfahrungen an den anderen Schulen berichtete, wandte die Lehrerin ein, dass ich die beiden Schulen nicht vergleichen dürfe, weil die aktuelle Schule eben eine "Förder"schule sei. Und ich hatte gehofft, dass die Gegebenheiten an der Förderschule dank eines (wie ich finde) hervorragenden Personalschlüssels quasi ideal sein müssten, individuell zu fördern ... genau das preisen Förderschulen doch als großen Vorteil ihrer Schulen an.
Für mich ist das paradox: Während die Klassenstärke in Henris Förderschulklasse bei sechs Kindern liegt, war er an den allgemeinen Schulen eines von 24 bis 38 Kindern. Auch wenn es dort neben Klassenleitung nur eine Förderlehrerin (für nicht mehr als fünf Stunden pro Woche) gab, hatte Henri dank seiner Integrationsassistentin viel Gelegenheit, das zu lernen, was ihm später dabei zugute kommt, ein möglichst selbständiges Leben zu führen. Dort war es machbar, dass Henri kontinuierlich an den Kulturtechniken arbeitet. Und weil er jetzt an einer "Förder"(!)schule ist, soll ich das nicht erwarten dürfen? Dazu mit der Begründung, dass Henri ja den anderen Schülern in den Kulturtechniken überlegen ist und man sich immer am allgemeinen Klassenniveau orientieren müsse. Wenn in einer normalen Grundschulklasse Raum für Binnendifferezierung ist - warum nicht an einer Förderschule mit einer hervorragenden personellen und räumlichen Ausstattung? Ich verstehe es nicht.
Der Knackpunkt bei der Diskussion ist die Frage, wo Henri aktuell Förderbedarf hat. Das Klassenteam meint, er sei nicht selbständig genug. Er bräuchte oft eine extra Aufforderung, damit er seine Sachen aus dem Ranzen holt oder seinen Tisch freiräumt. Manchmal hätte er einfach keine Lust und sei zu bequem. Diese Bequemlichkeit sei vor allem bei Kindern zu beobachten, die zuvor inklusiv beschult worden seien. Diese Kinder seien gewohnt, dass die Integrationsassistentinnen alles für sie regeln und deshalb seien sie weniger selbständig. Das Klassenteam ist der Auffassung, dass in der Werkstufe im Allgemeinen und auch bei Henri im Besonderen vor allem auf eine Verbesserung von Selbständigkeit und Arbeitshaltung hingewirkt werden muss. Als ich das zum ersten Mal hörte, kam mir spontan unsere Amelie in den Sinn... dass sie immer wieder etwas vergisst, im Haus liegen lässt oder oftmals vom Tisch aufsteht, ohne den Gedanken zu haben, sie könne beim Abräumen helfen. Sie ist diesbezüglich weniger ordentlich und diszipliniert als ihr Bruder. Beide Kinder zeigen, was Arbeitshaltung im Alltag betrifft, ein völlig normales Verhalten ... absolut nichts Außergewöhnliches. Der Unterschied ist, dass sich dies bei Amelie nicht auf ihren Lernstoff an der Schule auswirkt und wie selbstverständlich (und zurecht!) davon ausgegangen wird, dass sich ihre Arbeitshaltung auf dem Weg zum Erwachsenwerden anpassen wird. Natürlich kann es nervig sein, wenn ein Kind langsam ist und/oder keine Lust hat, für die Schule zu arbeiten - nur käme bei einem nicht behinderten Kind keiner auf die Idee, daraus einen besonderen Förderbedarf abzuleiten. Bei Henri dagegen sollen die beiden letzten Schuljahre dazu dienen, ihn so vorzubereiten, dass er, wenn er in der Werkstatt anfängt, dieses unerwünschte Verhalten nicht mehr zeigt.
Wer tatsächlich meint, Henri mangele es an Einsatz und Arbeitshaltung, ist eingeladen, bei uns zu Hause zu beobachten, mit wie viel Umsicht, Geduld, Disziplin und Durchhaltevermögen er seine große Kugelix-Kugelbahn aufbaut, mit mir das freie Schreiben übt und nicht zuletzt zwischen 45 und 60 Minuten am Stück Klavier spielt. Diesbezüglich taugt er zweifellos als Vorbild für viele seiner Altersgenossen. Aber auch Haushaltstätigkeiten gehören zu seinem Alltag: Zu Hause saugt er fast täglich Flur und Küche, räumt die Spülmaschine selbständig ein und aus, deckt den Tisch, bringt den Kompost weg und geht fast täglich eine kleine Runde mit Juri. Es wird Henris Wesen und Bedürfnissen nicht gerecht, dass so viel wertvolle Schulzeit für die Verbesserung von Akzeptanz bei unliebsamen Aufgaben, Zunahme der Eigenaktiviät und Steigerung des Arbeitstempos (Förderplan) verwendet wird 😢.
Vor einem guten halben Jahr gab es ein Sommerfest an der Schule, zu dem die Bevölkerung eingeladen war. Sogar der Ministerpräsident Tobias Hans hielt ein Grußwort und lobte die moderne Pädagogik - zum Beispiel den Einsatz vom PCs, Laptops und auch neu angeschafften Tablets. Diese Schule sei modern aufgestellt und die Schüler lernten mit fortschrittlichen Lehrmitteln. Er betonte, wie wichtig Förderschulen seien und dass die Eltern für die Beschulung ihrer Kinder einen Anspruch auf diese Wahlmöglichkeit hätten. Weil ich nicht sicher war, ob Henri tatsächlich nie mit einem dieser Lehrmittel gelernt hat, sprach ich beim Neujahrsempfang die Klassenlehrerin an. Mir hätte es besser gefallen, wenn Henri nur nie davon erzählt hätte... Aber in seiner Klasse werden die vom Ministerpräsidenten gelobten Tablets tatsächlich nicht eingesetzt. Warum nicht, fragte ich die Klassenlehrerin. Weil darauf kindische Apps, so wie für den Kindergarten, installiert sind. Tablets werden also bei den älteren Schülern nicht genutzt, weil die Software zu kindisch ist? Mmmh - ein Tablet kann doch auch mit altersgemäßen Apps ausgestattet und so zu einem modernen Unterrichtselement werden? Laptops soll es auch geben an der Schule - aber vielleicht hält man diese bei geistig behinderten Kindern wie Henri für fehl am Platz. An der Schule kann auch ein Hauptschulabschluss abgelegt werden - vielleicht sind PCs, Laptops und Tablets diesen Kindern vorbehalten. Ich weiß es (wieder einmal) nicht.
Henri würde profitieren, wenn man ihm die Möglichkeit geben würde, seine Kenntnisse am Laptop auch in der Schule zu verbessern - zum Beispiel mit Einführung eines Textverarbeitungsprogramms. Dankenswerterweise durfte er fast ein Jahr ein- bis zweimal in der Woche im Rahmen des Unterrichts (Deutsch und Freiarbeit) an seinem eigenen Laptop mit einem Schreibprogramm arbeiten, das wir zu Hause schon seit Jahren verwenden. Das Mildenberger Silbenprogramm ist für Henri eine tolle Möglichkeit, anhand eigens für ihn erstellter Texte das Lesen und Schreiben zu üben. Ich verfasse Texte, die Henris Lebenswirklichkeit abbilden und die er dann - ähnlich ich wie bei einem Diktat, aber in Schriftform - Wort für Wort aus dem Gedächtnis abschreibt
Dies Art von Lernen, für die im Laufe eines Schultags nun leider keine Zeit mehr ist (sein soll), ist für Henri in vielerlei Hinsicht wertvoll: Er lernt den Umgang mit modernen Medien, er verbessert mit Texten, die ihn wirklich interessieren, kontinuierlich seine Rechtschreibung und übt sich gleichzeitig auch darin, eine Sache zu Ende zu bringen. Ich schreibe die Texte immer so, dass sie in ca. 45 Minuten zu bearbeiten sind. In der Schule hat die Zeit meist nicht gereicht und er hat nur angefangen, aber zumindest durfte er damit arbeiten. Nachdem er in den letzten Wochen den Laptop öfter nicht ausgepackt hat, weil keine Zeit war oder die vorgesehene Zeit fürs Waffelbacken (kein Witz!) benötigt wurde, hat die Lehrerin nun gesagt, dass sie Henri stattdessen lieber in seiner Selbständigkeit fördern würde. Das Arbeiten mit dem Laptop könne er ja schon, nun solle es vor allem um die Verbesserung des eigenständigen Arbeitens gehen. Sie hat mir auch den Namen des Lehrmaterials genannt, mit dem sie gerne arbeiten möchte bzw. schon angefangen hat. In dem kurzen Gespräch im Stehen ( und im Rahmen des Neujahrsempfanges )blieb aber keine Zeit, näher darauf einzugehen. Nach dem, was sie dazu gesagt hat, scheint es sich um Übungen zu handeln, die dem Niveau (einzelne Wörter hören und schreiben) entsprechen, auf dem Henri vor 8 Jahren an der Montessorischule angefangen hat. Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen, aber ich werde auch keine Möglichkeit haben, es herauszufinden. Es sei denn, ich google nach dem Material, kaufe es und erschließe es mir zu Hause selbst. Die Lehrerin erklärte mir an diesem Tag auch, wenn Henri selbständiger werde, könne er in der Werkstatt eine anspruchsvollere Tätigkeit tun. Außerdem sei er in seiner Klasse, was Lesen und Schreiben angeht, sowieso der Beste(!) ... Für die Schule liegt klar auf der Hand, dass es bei Henri vor allem um die Vorbereitung auf die Arbeit in der Werkstatt geht und seine Kulturtechniken - zumindest im Vergleich zu denen seiner Mitschüler - so gut sind, dass deren Förderung zurückstehen muss.
Damit ihr eine Vorstellung habt, wie gut es mit dem freien Schreiben bestellt ist, zeige ich hier ein paar Auszüge aus unserem Chatverlauf.
Seit ich auf Henris Handy und Laptop eine Kinderschutz-App installiert habe, geht es oft bei unseren Chats oft um die erneute Freischaltung des Handys. Er weiß, dass man nur mit einem Passwort Zugang zur App hat und fragt mich oben danach (Beswort). Wie lieb er dabei schaut ❤️.
Wenn die voreingestellte Zeit abgelaufen ist, erscheint auf dem Handy oder Laptop eine rote Ampel und nichts geht mehr. Es besteht die Möglichkeit, bestimmte Anwendungen von der Sperre auszunehmen, zum Beispiel WhatsApp oder Fotos. Man könnte auch YouTube zur erlaubten Ausnahme machen - dann könnte ich aber auch gleich die App deaktivieren. Oben ist die Zeit vorbei und Henri erklärt mir, was er gerne am Handy machen würde. Und natürlich weiß er, dass ich bei Fotos und Wetter-Apps (er hat gleich drei) öfter mal ein Auge zudrücke :-).
An diesem Tag haben Dirk und ich einen Ausflug nach Heidelberg gemacht und Elias war bei den Kindern zu Hause. Bevor er zu seinem eigentlichen Anliegen kommt, macht er erst einmal gute Stimmung ;-).
Ich bin mir bewusst, dass man diese Chats ganz unterschiedlich bewerten kann. Manche sagen vielleicht, dass die Schreibleistung so schwach ist, dass man die Zeit doch besser für hauswirtschaftliche Tätigkeiten nutzen soll. Für mich zeigen sie vor allem, dass Henri sich (wenn auch mit Fehlern) nicht nur schriftlich ausdrücken kann, sondern auch die Kompetenz hat, durch Nachhaken und, wenn es sein muss, auch Liebesbekundungen ;-) zum Ziel zu kommen. Ohne diese Fähigkeit würde ihm ein großer Teil dessen, was für uns alle selbstverständlich ist, fehlen. Dass er schreiben und mit dem Handy umgehen kann, kommt ihm aber nicht nur kommunikationstechnisch zugute. Es vermittelt ihm auch Selbstbewusstsein und ein Stückweit Normalität - er macht das, was seine Altersgenossen auch machen.
5. Hausaufgaben / Leistungsnachweise / Arbeiten / Lernstand
Auch hier spreche ich ausschließlich von unseren Erfahrungen an der Förderschule. Henri ist - wie bereits geschrieben - in einer Klasse mit Kindern, die meist nicht nur eine deutliche kognitive, sondern dazu auch eine körperliche Beeinträchtigung haben. Mittlerweile ist ist er in der sog. Werkstufe. Möglicherweise treffen einzelne Punkte nicht auf alle Schüler zu - dazu kann ich nichts sagen.
Im letzten Schuljahr hatte Henri einige wenige Male Hausaufgaben auf. Ich muss zugeben, dass ich den Eindruck habe, sie wurden der Mutter zuliebe aufgegeben. Wenn die Lehrerin mitbekommen hat, dass wir auch außerhalb dieser seltenen Hausaufgaben zu Hause zusammen gelernt haben, habe ich im MIA-Heft Hinweise bekommen, dass man die Kinder nach einem langen Schultag (bis 15 Uhr) nicht auch zu Hause noch belasten soll. Die Lehrerin hat dafür die kurzen Tage vorgeschlagen.
Seit diesem Schuljahr hat Henri gar keine Hausaufgaben mehr. Mittlerweile vermisse ich sie auch nicht mehr und komme damit sogar gut klar, denn so bleibt zu Hause auch Raum für unser eigenes Lehrmaterial. Darüber hinaus haben wir mit der Klassenlehrerin so besprochen, dass Henri zweimal in der Woche zu Hause in sein Erlebnisheft schreibt und er dieses als eine Art Konzept für seinem Beitrag im Morgenkreis verwenden darf. Ich bin froh, dass Henri diese Möglichkeit gegeben wird. So kann er Schreiben und freies Sprechen gleichermaßen üben.
An der Förderschule gibt es weder Klassenarbeiten noch individuelle Lernstandsüberprüfungen - wenn es sie doch geben sollte, dann schulintern und den Eltern nicht zugänglich. Womöglich gibt es dafür eine pädagogische Begründung, vielleicht in dem Sinne, dass man die Kinder nicht überfordern oder stressen soll, weil sie es eh schon schwer haben. Das ist aber nur eine Vermutung. Zu Hause empfinde ich solche zusammenfassenden "Tests" eher als Motivation und für Henri auch Möglichkeit der Selbstbestätigung. Wenn man zum Beispiel tagelang an Präpositionen gearbeitet hat (es fällt Henri immer noch schwer, zu entscheiden, ob es nun in, zu, nach etc. heißen muss), ist es für ihn eine tolle Erfahrung, wenn er diese in einem fließenden Text richtig einsetzen kann. Und wenn nicht, gibt es natürlich keinen Daumen runter, sondern einen neuen Versuch. Ich traue mir durchaus zu, abspüren zu können, ob das Üben Henri überfordert. Um es klar auszudrücken: Weder als Mutter noch als Lehrerin bin ich unerfahren.
Gestern habe ich etwas Neues über die Gepflogenheiten an Förderschulen gelernt. Geistig behinderte Kinder (Schüler aus dem G-Bereich schrieb die Klassenlehrerin) bekommen ein Jahreszeugnis, aber kein Halbjahreszeugnis. Wenn sie doch eines bekommen sollten, dann eventuell, weil sie mit lernbehinderten (nicht so stark eingeschränkten) Kindern in einer Klasse sind und man sie im Sinne einer Gleichbehandlung nicht schlechter stellen will. Henris Klassenkameraden sind allesamt geistig behindert und deshalb hat keiner ein Zeugnis bekommen. Nur der Schulschluss an diesem Tag war für alle Kinder (auch geistig behinderten) gleich. Warum die Schule bereits um 11 Uhr zu Ende war, weiß ich nicht.
Ich hatte kein Zeugnis im Sinne einer Benotung der einzelnen Fächer erwartet. Eher hatte ich mich auf einen Entwicklungsbericht gefreut, in dem festgehalten ist, wie und was Henri im ersten Halbjahr gelernt hat. Dadurch, dass wir so wenig mitbekommen, wäre mir ein solcher Bericht sehr wichtig gewesen. Wir hatten zum Beispiel im Förderausschuss besprochen, dass Henri bezüglich seines Umgangs mit Geld und auch Uhrzeit gefördert werden soll. Das Klassenteam wollte Henri unterstützen, den Wert des Geldes etwas besser einschätzen zu lernen und auch vertrauter mit der Uhrzeit zu werden. Weil wir zu Hause weder beim Thema Geld noch bei Uhrzeit eine Veränderung festgestellt haben, war ich schon gespannt, wie das Klassenteam dies einschätzt. Aber leider leider bekommen "G-Kinder" kein Halbjahreszeugnis und so fällt diese Informationsquelle aus. Ich möchte - falls das es nicht deutlich wurde - ergänzen, dass Kinder aus dem G-Bereich nirgendwo Halbjahreszeugnisse bekommen, es sich also nicht um ein schulinterne Entscheidung handelt, sondern landesweit (vermutlich aufgrund einer Vorgabe des Kultusministeriums) so gehandhabt wird. Meines Erachtens widerspricht dies dem Gleichbehandlungsgrundsatz und es gibt keinen Grund, einem Kind mit einer kognitiven Behinderung etwas zu verwehren, was allen anderen zugestanden wird. Wenn jemand von den LeserInnen Hintergründe diesbezüglich hat, freue ich mich über einen Kommentar.
An der Schule sind für jedes Kind pro Jahr exakt zwei Gespräche, genauer genauer gesagt Förderausschüsse (klingt seltsam im Plural) eingeplant. Tag und Uhrzeit werden nicht, wie an anderen Schulen üblich, vereinbart, sondern vom Klassenteam vorgegeben. Aufgrund der Vielzahl der Schüler ließe sich das auch gar nicht anders machen. Natürlich haben wir den angebotenen Termin wahrgenommen - wenn es nur den einen gibt, muss man es möglich machen. Im Nachhinein haben wir erfahren, dass es offenbar zwei unterschiedliche Arten von Gesprächen gibt: Förderausschuss ist nicht gleich Elterngespräch. Förderausschuss findet genau zweimal im Jahr statt, Elterngespräche sind wohl offener angelegt. Obwohl die Klassenlehrerin für unseren Förderausschuss mehr Zeit als üblich eingeplant hatte, war schon nach einer halben Stunde klar, dass die restlichen Themen in der verbleibenden halben Stunde nicht zu schaffen sind. Die Lehrerin hatte die ganze Zeit die Uhr vor sich im Auge und ich die Wanduhr... ihr Angebot für einen weiteren Termin haben wir dankend und sehr dankbar angenommen. Diese Fortsetzung wäre dann wohl - wenn ich die Klassenlehrerin heute richtig verstanden habe - keine Fortsetzung des Förderausschusses, sondern ein Elterngespräch gewesen. Weil die Eltern des Folgetermins, für den wir das Gespräch / vielmehr den Förderausschuss, pünktlich beendet hatten, nicht gekommen sind, hätten wir von unserer Seite aus auch gerne an diesem Tag weiterreden können - aber unser Termin war vorbei und weil uns ein zweiter in Aussicht gestellt worden war, war uns das auch recht. Leider ließ es sich bis heute nicht einrichten - wir warten immer noch.
6. Was ist eigentlich mit den anderen Eltern?
Das habe ich mich auch lange gefragt. Bei unserem ersten Elternabend im letzten Schuljahr waren außer der Lehrerin, Dirk und mir noch zwei weitere Elternteile und ein Betreuer einer Wohngruppe anwesend. Ich habe seitdem immer wieder nachgefragt, warum sich die anderen Eltern so selten blicken lassen. Sie kennenzulernen ist mir vor allem ein Bedürfnis, weil ich mir auch außerhalb der Schule Kontakt zwischen Henri und seinen Klassenkameraden wünsche. Mir wurde gesagt, dass der Einzugsbereich der Schule relativ groß ist und nicht jeder ein Auto hat. Außerdem seien längst nicht alle Eltern so engagiert wie wir. Wir kommen von einer Schule, deren Einzugsbereich ebenso groß ist und wo die Treffen der Kinder mit teilweise hohem Aufwand für die Eltern verbunden waren. Kontakte und gegenseitige Einladungen gab es trotzdem. Daran kann es also nicht (allein) liegen. Von früher und aus anderem Zusammenhang kenne ich zwei Elternhäuser unserer Förderschule: Die Kinder sind nicht in Henris Klasse und beide haben - genau wie Henri - keine Kontakte außerhalb der Schule. Beide Elternhäuser bedauern dies genau wie wir. Mittlerweile bin ich auch nicht mehr sicher, ob es wirklich nur an dem großen Einzugsbereich oder einer wenig interessierten Elternschaft liegt. Ich frage mich, ob die Elternschaft an der Förderschule tatsächlich so anders ist als einer "normalen Schule". Rein statistisch gesehen müssten Behinderungen doch in allen Schichten und sozialen Kontexten gleich oft vorkommen. Warum also ist es für Eltern nicht behinderter Kinder völlig normal, dass die Kinder sich auch außerhalb der Schule sehen und für Eltern behinderter Kinder an der Förderschule die Ausnahme? Eltern nicht behinderter Kinder sprechen oft von der Belastung, wenn sie die Kinder tagein- tagaus durch die Gegend (zu ihren Freundinnen und Freunden) karren. Was Henri betrifft, ist bei uns das Gegenteil der Fall: Ich gäbe so viel darum, Henri zu einem Klassenkameraden fahren zu können oder einen Schulkameraden mit zu uns nach Hause zu nehmen! Von der Schule habe ich immer wieder gehört, dass sie diesbezüglich leider nicht viel tun können. Ob es Zufall ist oder Datenschutzgründe hat, dass keine Klassenliste existiert? Sind die anderen Eltern wirklich so wenig interessiert oder ist es vor allem auch ein Kommunikationsproblem zwischen Schule und Eltern, dass außerschulische Kontakte zwischen den Eltern so rar sind? Hat die Schule eigentlich ein Interesse daran, dass die Schüler nicht nur gut versorgt sind, sondern sich am Nachmittag auch mal verabreden und Freundschaften pflegen können? An anderen Schulen gibt es Tage mit gemeinsamen Unternehmungen, Kennenlerntage, gemeinsame Ausflüge usw. Nachdem bei dem Neujahrsempfang von der Elternschaft nur ich anwesend war, bat die Lehrerin mich um Verständnis dafür, dass es solche Angebote in Zukunft nicht mehr gäbe. Weiterhin bestünde aber die Möglichkeit, dass die Lehrerin Kontaktanfragen an andere Eltern weiterleite. Das könnte sich dann wohl so gestalten, wie wenn das Sekretariat Kontaktanfragen an die Lehrerin weiterleitet (#Datenschutz, #Privatsphäre).
7.Last but not least, die entscheidende Frage: Wie geht es eigentlich Henri?
Henri fühlt sich offenbar wohl an der Förderschule. Abgesehen vom frühen Aufstehen scheint er gerne in die Schule zu gehen. Da er so gut wie gar nicht über die Schule redet, bleibt uns nur, von seiner Stimmung auf seine Zufriedenheit zu schließen. Und dem, was die Lehrerinnen in den seltenen Elterngesprächen berichten, Glauben zu schenken: Henri mache meist einen frohen Eindruck und sei in der Klasse gut integriert. Wir haben auch das Gefühl, dass die Lehrerinnen einen guten Umgang mit ihm haben und die menschliche Beziehung gut zu sein scheint. Bei aller Kritik soll diese positive Seite nicht unerwähnt bleiben. Seit heute (11.02.; siehe oben) frage ich mich nun, ob ich nicht zu gutgläubig war. Sie machen es anders, aber sie meinen es gut ... hatte ich gedacht. Was heute passiert ist, ist dermaßen enttäuschend, dass ich die Situation nun auch, was den menschlichen Umgang betrifft, anders bewerte.
Die Förderschule hat einen großen Vorteil und zwar im Schulalltag: Weil alle behindert sind, ist es für die Schüler viel weniger schwer, Anschluss zu finden. In der Waldorfschule war Henri beliebt, fast alle mochten ihn und wenn er Unterstützung brauchte, war immer mindestens ein Kind für ihn da. Trotzdem stand er in den Pausen oft allein auf dem Schulhof - nicht, weil die Kinder nichts mit ihm zu tun haben wollten, sondern weil die Interessen sich immer weiter auseinanderentwickelt haben. Dies war für uns der entscheidende Grund, ihn auf der Förderschule anzumelden. Er sollte in der Schule keine Sonderstellung mehr haben, sondern ein "ganz normaler Junge" sein dürfen. Insofern haben wir ein Ziel - nämlich die Zufriedenheit Henris, die über allem steht - erreicht. Unsere Hoffnung, dass der Besuch einer Förderschule ihm auch am Nachmittag mehr Kontakte bringt, hat sich dagegen nicht erfüllt. In eineinhalb Jahren Förderschule hatte er kein einziges Mal Besuch und wurde auch nicht eingeladen - nicht einmal zu einem Kindergeburtstag. Bei den beiden anderen Familien, die ich in einem anderen Zusammenhang kennengelernt habe, ist es übrigens genauso: Keine Kontakte außerhalb der Schule. Bis einschließlich letztem Jahr hat Henri zu jedem seiner Geburtstage Kinder eingeladen, machmal haben wir ein richtiges Kinderfest gefeiert. Die Gegeneinladungen wurden im Laufe der Jahre immer weniger bis es zuletzt keine mehr gab, gar keine. Wie muss es sich wohl für ihn anfühlen, nie zu einem Geburtstag eingeladen zu werden? Zumal er bei seiner "kleinen" Schwester sieht, welch großen Raum gegenseitige Einladungen und Besuche einnehmen. Hätte Henri nicht den Schwimmverein, das Hip-Hop und die Jugendfeuerwehr ... seine Kontakte außerhalb der Schule wären nur auf auf seine Kernfamilie beschränkt. Vielleicht sagt jemand, dass das bei behinderten Kindern halt so ist ... das macht es aber nicht besser und traurig ist es trotzdem.
Was wollt ihr eigentlich? Die Hauptsache ist doch, dass es Henri gut geht ...
Keine Frage - dass es Henri gut geht, dass er sich wohl fühlt und gerne in die Schule geht, ist das Allerwichtigste.
Aber: Ist das nicht bei allen Kindern so? Ist es nicht bei allen Kindern am wichtigsten und Grundlage allen Lernens, dass sie sich in ihrer Schule wohlfühlen? Zumindest in unserer Familie stand das Wohlergehen der Kinder immer an erster Stelle. "Dennoch" war und ist es es uns wichtig, ihnen auch Bildung und Wissen zuteil werden zu lassen. Bei einem nicht behinderten Kind käme keiner auf den Gedanken, die Vermittlung von Lesen, Schreiben und Allgemeinbildung zu vernachlässigen, weil es ja die Hauptsache ist, dass es ihnen gut geht. Beides darf nebeneinander stehen und das Trainieren der Kulturtechniken ändert nichts am Befinden des Kindes, jedenfalls nicht im negativen Sinne.
Was könnte an der Förderschule besser sein - ein Fazit
- Transparenz:
Wir möchten wissen, was Henri in der Schule lernt und regelmäßig seine Arbeitsmaterialien sehen. Wir möchten auch wissen, mit wem er in einer Klasse ist, hierbei wäre eine Klassenliste hilfreich. Wir wünschen uns einen Tag der Offenen Tür, ein Gläsernes Klassenzimmer o.ä. - die Möglichkeit, zu erleben, wie und was unser Kinder lernt. Was für alle anderen Schulen selbstverständlich ist, sollte auch für die Förderschule gelten. Wir können nicht nachvollziehen, warum die Eltern an der Förderschule vom Schulgeschehen weitgehend ausgeschlossen sind.
- Kontakt:
Wir hätten gerne die Möglichkeit, Henris Lehrerin per E-Mail, Kurznachricht oder Telefon erreichen zu können. Wir wünschen uns Kontakt zu anderen Eltern und vor allem auch außerschulische Kontakte für Henri. Wir wünschen uns auch Möglichkeiten der Begegnung zwischen Lehrern und Eltern - ein Miteinander auf Augenhöhe.
- Austausch / Mitsprache / vertrauensvolles Miteinander zum Wohle des Kindes
Wir wünschen uns mehr Austausch und Abstimmung, was die "Förderziele" betrifft. Wir möchten einbezogen werden, wenn es um die Formulierung von Förderzielen geht. Einen bereits fertigen Förderplan auf die Nachfrage "Sind sie einverstanden?" abzunicken ist uns zu wenig. Austausch setzt aber auch voraus, dass man Eltern auch eine gewisse Kompetenz zutraut. Dies scheint in unserem Falle nicht gegeben - trotz jahrelanger Erziehungsleistung und Erfahrung im Unterrichten.
Ergänzung, 11.02.2020:
Wir wünschen nicht nur, sondern erwarten, dass weder unser Kind noch andere gezwungen werden, etwas zu essen, was sie nicht essen mögen.
Wir erwarten, insbesondere an einer Förderschule, auf den besonderen Schutz unseres Kindes vertrauen zu können. Ich wiederhole, was ich oben schon geschrieben habe: Der heutige Vorfall ist (im Jahr 2020) an keiner "normalen" Schule denkbar, jedenfalls nicht im 21. Jahrhundert. Überall gingen die Eltern gingen auf die Barrikaden, wenn ein Lehrer ihr Kind gezwungen hätte, etwas zu essen, was es nicht mag. Man muss es so offen sagen: Was Henri erlebt hat, konnte nur passieren, weil er geistig behindert ist und seine Interessen nicht ausreichend vertreten konnte.
- Individuelle Förderung / deutliche Erhöhung des Umfangs der Kulturtechniken Lesen und Schreiben im Stundenplan / moderne Medien
Wir wünschen uns individuelle Förderung und dass auch die Förderschulzeit genutzt wird, auf dem bereits Erlernten aufzubauen. Mangelnde Förderung der Kulturtechniken damit zu begründen, dass es sich um eine Förderschule handelt und man daher Rücksicht auf andere Kinder nehmen müsse, die noch weniger können, finden wir völlig unangebracht und Henris Interessen und Anspruch auf individuelle Förderung nicht dienlich. Keine Schule ist personell so gut ausgestattet wir die Förderschule. Wenn Binnendifferenzierung und die Vermittlung von Bildung in Großklassen an Regelschulen möglich ist, sollte dies auch an der Förderschule machbar sein - zumal diese Schulen mit individueller Förderung werben. Statt Arbeiten, Hofdienst und anderen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten wünschen wir uns, dass die verbleibende kostbare Schulzeit mehr für Lesen und Schreiben genutzt wird. Denn Tischdecken, Saubermachen, Aufräumen lernt Henri wie jedes andere unserer Kinder bei uns zu Hause. Schulbesuch sollte - auch bei behinderten Kindern! - vor allem der Vermittlung von im Alltag unabdingbaren Kulturtechniken und einer gewissen Allgemeinbildung dienen. Bei Kindern wie Henri sollten Arbeiten, Saubermachen, Nähen, Kochen usw. neben den Kulturtechniken nur einen untergeordneten Raum einnehmen.
Wir wünschen uns auch, dass der beim Sommerfest vom Ministerpräsidenten angepriesene moderne und fortschrittliche Unterricht( !) an dieser Förderschule auch unserem Sohn zugestanden wird. Wir erwarten, dass Henri - auch wenn er eine geistige Behinderung hat - im Rahmen des Unterrichts mit modernen Medien (PC, Laptop, Tablet) in Kontakt kommt und seine zu Hause erworbenen Grundkenntnisse erweitern kann. Es darf nicht sein, dass an einer Förderschule dafür keine Zeit bleibt, weil zum Beispiel Waffelbacken oder Basteln wichtiger sind. Übrigens hat mir erst kürzlich eine Mutter, die mir bisher eine überzeugte Anhängerin vom System Förderschule zu sein schien, geschrieben, dass ihr Sohn, ebenfalls Down-Syndrom, nicht lesen und schreiben könne. Als Begründung schreibt sie: "Es hat noch niemand einen richtigen Zugang zu ihm gefunden" und dann: "Für mich ist und bleibt die Förderschule ein Kindergarten für ältere". Ist das nicht traurig?
Ich habe in den vergangenen zwanzig Jahren viele Lehrerinnen (und Lehrer) kennenlernen dürfen - beruflich wie privat. Bei keiner von ihnen könnte ich mir vorstellen, dass sie für das eigene Kind einen Stundenplan, wie ihn Henri hat, akzeptieren würde. Wenn die Lehrer der Förderschule in unserer Situation wären und ein Kind mit einer geistigen Behinderung hätten - sie würden nicht nur verstehen was uns umtreibt, sondern für die Bildung ihres Kindes kämpfen - ganz sicher!
Wir wünschen Henri, dass man ihm das gleiche Recht zu lernen zugesteht wie anderen, nicht behinderten Schülern. Er soll nicht das Gleiche lernen wie alle anderen, sondern dort abgeholt werden, wo er steht. Der Rückzug auf die Vermittlung von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und die Vorbereitung auf die Werkstatt reduziert Menschen auf ihre Behinderung, übersieht wertvolles Potential und behindert dessen Entwicklung.
Nachtrag: Als Henri heute zu Bett gegangen ist, schaute er mich mit ernstem Blick an und fasste das Geschehene in seinen Worten zusammen:
Heute bin ich traurig ... Essen ... Fischstäbchen - morgen bin ich wieder froh. 😥 🤗❤️
henri-mittendrin@alle, die hier kommentiert haben (Dienstag, 03 März 2020 18:47)
Drei Wochen nach meinem Blogeintrag zur Förderschule melde ich mich hier zurück und danke erst einmal für so viel unterstützende und bestärkende Kommentare. Nie zuvor hatte ein Blogbeitrag eine solche Resonanz - jeder Kommentar hat mir gezeigt, dass es richtig war, diesen Schritt - den obigen Blogeintrag - zu tun und dazu zu stehen. Er (und noch viel mehr die Unzufriedenheit, Verzweiflung und Ratlosigkeit dahinter) brannte mir lange auf der Seele, lag im Magen, machte den Kopf schwer und hat auch im Nachhinein viel freigesetzt - auch schwer Verdauliches. Auch wenn der vorherige "Förderschule, die Zweite und Letzte" hieß, muss es nun doch einen weiteren Blogeintrag geben ... nicht um meine Kritik zu erweitern, relativieren oder einzelne Aspekte noch einmal besonders zu betonen, sondern um ein paar Worte zu euren Reaktionen zu schreiben, für die mir die Kommentarform nicht als der passende Rahmen erscheint. Ich werde den Beitrag "Henris Förderung an der Förderschule - Eindrücke, Meinungen, Überzeugungen, Reaktionen und Gegenreaktionen" nennen.
Bettina (Dienstag, 03 März 2020 17:41)
Ich habe in den Förderschulen für Lernbehinderung und geistiger Entwicklung, die mein Sohn besucht hat, leider die selben Erfahrungen gemacht. Immer, wenn ich mehr Förderung und Bildung in den Elterngesprächen für ihn gefordert habe, haben mir die Lehrer nur noch von den Defiziten meines Sohnes erzählt und wollten mir beweisen, wie stark behindert er ist. Das Lesen, Schreiben und Rechnen habe ich ihm beigebracht, nicht die Fachlehrer.
Romy (Montag, 02 März 2020 14:04)
Mich erschüttert dieser Bericht nicht, denn ich kenne jede Facette auch von Regelschulen mit Gemeinsamen Lernen. Intransparenz ist ein Hauptgrund allen Übels und die Erwartungshaltung, Nonsens-"Förder"pläne als Eltern sich vorlesen zu lassen und dankbar für die dafür aufgewendete Zeit des SonderPs zu sein. Derartige "Fö"Pläne riefen selbst bei einer angesehenen Uni-Professorin der örtlichen UNI keinerlei Kritik oder Bedenken hervor. So etwas wird also auch NOCH GELEHRT!!!! Das ist für mich das eigentlich Erschütternde. Und die Verdrehung von Argumentationen ist die zweite erschütternde Realität.
Warum soll es bei behinderten Kindern nur um Wohlfühlen und Glücklichsein gehen, über das normale Maß bei jedem Kind hinaus? Fast jedes Kind fände es zunächst gut, jeden Tag Pommes und Cola zu sich zu nehmen, stundenlang TV zu schauen oder I-Pad Games zu spielen. Trotzdem achten verantwortungsvolle Eltern darauf, dass dies in begrenztem Maße stattfindet, die Kinder andere Freizeit- und Nahrungsalternativen kennenlernen bzw. gewöhnt sind und die Kinder zur Schule gehen, damit sie dort Allgemeinbildung erfahren - von dafür spezialisierten, teuer bezahlten Fachleuten. (nicht von Eltern, die Spezialisten in anderen Berufen sind) Warum soll das bei Kindern, die unter erschwerten Bedingungen ins Leben starten, sich unter erschwerten Bedingungen entwickeln, anders sein? Warum sollte hier niemand auf Grenzen achten und Entwicklungen auf vielen Gebieten ermöglichen? Und zuguterletzt: der Bildungskontext: Warum wird nie darüber geredet, wie wichtig auch gleichaltrige Vorbilder für Kinder sind, ein natürlich gemixter Kontext, der mitzieht/ vorlebt, der als Community Orientierung und Halt bietet. Und wo soll dieser Kontext erfahren werden, wenn nicht und gerade in Bildungseinrichtungen, in denen für gemeinwohlorientiertes Handeln der Grundstein gelegt werden sollte. Wenn er es denn wird. Die einzige Begründung für "Zufriedenheit", die nur außerhalb der Regelschule erlangt werden kann, ist doch nur, wenn kein Kind an einer Regelschule zufrieden ist. Dies kommt zum Teil der Realität wohl sehr nahe, kann aber nicht als Argument dienen für gesonderte Beschulung eines kleinen Teils der Schülerschaft. Es sollte vielmehr das Argument sein, die allgemeinen Bedingungen an Regelschulen für alle Schüler zu verbessern, damit sie Schule und Bildung als etwas Positives erleben und hier nicht schon all ihre Kompensations-Reserven fürs Leben verbrauchen.
TineD (Samstag, 29 Februar 2020 21:54)
Liebe Mama von Henri, mir kamen die Tränen beim Lesen dieses Beitrags. GENAU SO haben wir das mit unserem Sohn in der "Förder"schule auch erlebt. Und das ist 20 Jahre her! Offensichtlich hat sich da NICHTS bewegt. Das Förderschulsystem als Ganzes ist ein verfehltes Konzept. Ein Beispiel am Rande: Meine Versuche, zu unterbinden, dass in den Transportbussen geraucht wurde, liefen allesamt ins Leere. Die Kinder stanken wie ein Aschenbecher. Erst ein sehr wütender und scharf formulierter Leserbrief ("die Kinder dürfen ja froh sein, dass sie heutzutage nur noch ein bisschen vergast werden") in der örtlichen und überörtlichen Presse schlug dann so hohe Wellen, dass Abhilfe geschaffen wurde. Ich war in unserer Stadt damals im Vorstand der Lebenshilfe. Danach nicht mehr . . .
Ute (Freitag, 28 Februar 2020 23:01)
Ich zitiere hier mal Artikel 1 unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Und dass das selbstverständlich auch für Menschen mit Behinderung gilt, steht dann etwas weiter unten in Artikel 3.) So wie Du hier die Verhältnisse in Henris Schule beschreibst, sollte man diesen Satz mal ganz groß für seine Lehrerin ausdrucken. Es klingt für mich, als wäre die Menschenwürde hier des öfteren missachtet worden. So schade!
Diatsi (Freitag, 28 Februar 2020 20:57)
Hallo,
ich fördere als externe Therapeutin ein Kind mit Down
Syndrom in einer Förderschule einmal die Woche. Die Mutter hat es geschafft für ihren 13. jährigen Sohn Heilpädagogik zu bekommen. Wir üben gemeinsam lesen, Ausdauer, Konzentration, feinmotorische Übungen, Zählen usw. Er macht das richtig gut und wir freuen uns aufeinander und arbeiten sehr fleißig zusammen. Das was ich dort Woche für Woche erlebe macht mich echt traurig und gleichzeitig bin ich jedesmal irritiert wie die Kinder dort zum einen unterrichtet werden und zum anderen wie mit ihnen umgegangen wird.
Mir fehlt die Wertschätzung der Sonderpädagogen und der anderen Personen, die dort rumsitzen. Mir kann keiner erzählen, dass die Kinder dort besser betreut, gefördert und unterrichtet werden als in einer inklusiven Schule.
Ganz geschockt war ich als ich einen anderen Jungen mit DS Woche für Woche antraf, der aus Bausteinen einen Turm baute und umwarf, dies war der Inhalt der Stunde.
Als ich meiner Kollegin entsetzt davon berichtete, sagte sie mir, dies ist die Vorbereitung für die Arbeit in der Werkstatt. Es tut mir leid, aber am liebsten würde ich jeden Tag dorthin gehen und mich um jeden einzelnen Schüler kümmern.
Ich dachte zuerst ok , ich habe vielleicht auch ne eigene Wahrnehmung, aber dein Bericht bestätigt auch meine negative Erfahrung in einer Förderschule.
LG
Diatsi
Gaby (Freitag, 28 Februar 2020 19:28)
Hallo Mama von Henri,
wir haben unseren Sohn auch in den ersten 2 Schuljahren in einer Förderschule Schwerpunkt G in einer sogenannten Aussenklasse beschulen lassen. Von Beginn an fand ich es komisch, dass kein Wert darauf gelegt wurde, dass er die Kulturtechniken lernt. Also haben wir zu Hause das lesen geübt. Irgendwann meinte seine Sonderpädagogin, dass er ja schon lesen könne. Ich meinte dann zu ihr, dass man das doch vertiefen könne und auch das Schreiben. Doch sie meinte, dass man sich am Schwächsten der Klasse orientiere und das somit nicht das Ziel wäre. Das war für mich ein NoGo. Es ging auch immer weiter bergab und schliesslich haben wir nach 2 Jahren die Notbremse gezogen und ihn in eine private inklusive Schule eingeschult. Allerdings muss er dort wieder hin, nämlich in die Werkstufe und ich hab jetzt schon das Grauen davor. Danke für Deinen Bericht, er hat mich sowas von bestätigt. Liebe Grüße, Gaby
Walter (Freitag, 28 Februar 2020 18:09)
Liebe Monika!
Danke für Deinen ernüchternden Bericht.
Meine Tochter geht in eine Förderschule (Sprache) im Primarbereich und wir machen zum Glück bessere Erfahrungen. Auch hier sind die Eltern weniger nah an die Schule gebunden (insb. durch den Bustransport). Allerdings bin ich beeindruckt, wie selbstverständlich hier differenzierter Unterricht gemacht wird. Zunächst gibt auch Kinder mit Lernbehinderung. Differenzierte Materialien sind üblich. Regelmäßig wird versucht, Eltern einzubinden, was nicht immer gelingt (weil z.B. in manchen Klassen KEINE Eltern zum Elternabend kommen).
Die Erfahrung, die Du gemacht hast, sind eher vergleichbar mit der Regelgrundschulerfahrung der jüngeren Schwester: In Klasse 1 kein Elternsprechtag, in Klasse 2 10 Minuten je Kind. Kernaussage: Dem Kind geht es gut und es macht keine Probleme. Was wollen Sie also hier? Ich wünschte mir, jede Regelschule würde so unterrichten, wie unsere Förderschule: Differenziert, die Kinder abholend und vor allem nicht anhand vom Verhalten der Kinder auf deren geistige Fähigkeit schließend.
Mein Eindruck ist, dass das System Schule (sowohl im Förder- als auch im Regelbereich) noch nicht den Schritt vom Normunterricht und Defizitorientierung zum differenzierten Lernen gemacht hat. Einige Schulen bekommen das hin (z.B. "unsere" Förderschule") andere nicht (z.B. "unsere Regelschule" oder möglicherweise "deine Förderschule"). Das zu Hause zu kompensieren ist insbesondere für Familien mit Förderkindern bald mehr als ein "full-time Job".
Für uns geht es jetzt von der Förderschule in die inklusive Regelschule. Wir sind gespannt, erwarten aber, dass wir als Eltern viel Zeit investieren müssen.
Henri wünsche ich alles Gute!
Frieda (Freitag, 28 Februar 2020 17:27)
Ich habe Deinen Bericht mit Entsetzen gelesen und es auch nur bis zur Hälfte geschafft...... ...er deckt sich eins zu eins mit unseren Erfahrungen. Unverständlich, wirklich!
Elke (Mittwoch, 19 Februar 2020 00:37)
Wie schade, dass ihr solche Erfahrungen machen müsst. Aber das ist genau der Grund, warum wir uns für die Inklusion entschieden haben...Ich habe bezüglich unserer GE-Schule schon einiges Negatives gehört (u. a., dass besser gestellte Kids eben nicht gefördert werden) und es wurde mir auch von verschiedenen Seiten (I-Kräfte, Pädagogen, die dort gearbeitet haben und ein Arzt) abgeraten. Und du beschreibst genau meine Horrorvorstellung, was mit meinem Sohn passiert wäre. Schlimm finde ich auch für euch, dass man sich Nichts von dem annimmt und euch auch gar nicht entgegen kommt und überhaupt versucht, Etwas zu ändern. An sich sollte ja das Kind im Vordergrund stehen...und seine bestmögliche Förderung. Es ist traurig, dass bei euch keine GE-Kids wohl keinen Anspruch darauf haben.
Tanja (Sonntag, 16 Februar 2020 11:42)
An die Freundin und Förderlehrerin:
Es freut mich zu hören, wie es an eurer Schule läuft! Das ist genau das, was wir uns von einer Schule des Gemeinsamen Lernen gewünscht und schlicht auch erwartet haben. Leider muss ich berichten, dass es bei uns ganz anders läuft. Mein Sohn ist 7, geht in die erste Klasse (sogenannte Schwerpunktklasse, 21 Schüler, davon 2 mit festgestellten Förderbedarf) einer Grundschule des Gemeinsamen Lernens und hat keine geistige Behinderung, sondern eine kombinierte Entwicklungsstörung. Besonders stark ist das Sprechen betroffen. Das Schulamt hat uns vorgeschlagen, erstmal ohne Förderstatus in der Schule zu starten. Vom ersten Tag an wurden wir abgelehnt ubd bedrängt, eine Schulbegleitung zu beantragen. Ohne bräuchte unser Sohn garnicht erst kommen. Wir haben immer nachgefragt, um Gespräche gebeten, die abgelehnt wurden. Stattdessen wurde unser Sohn eigenmächtig auf niedrigsten Niveau "unterrichtet". Offensichtlich war man der Meinung, er könne eh nicht mehr. Nach 3 Monaten, nachdem wir immer wieder um Gespräche und Transparenz gebeten haben, wurden wir dann zur Feststellung des Förderbedarfs gedrängt. Man könne ihm sonst kein zieldifferentes Material zur Verfügung stellen. Über das, was in der Schule gelernt wird, erfuhren wir nichts. Die Schulbegleitung darf uns keine Auskünfte gegen. Dies sei vertraglich so festgehalten. Die Fördergutacherin attestiert allein auf ihre Beobachtungen im Unterricht (wo mein Sohn ja offensichtlich auf niedrigsten Niveau unterrichtet wird) entgegen aller ärztlichen und therapeutischen Berichte den Förderbedarf GE. Es ust eine Katastrophe!
Ich wünschte, es gäbe mehr (Föder) LehrerInnen wie dich!
Angela (Sonntag, 16 Februar 2020 10:29)
Sie beschreiben Zustände , die ich für als längst überwunden gehalten habe. Mein Sohn ist inzwischen 46 aber die Probleme ,die wir damals hatten, scheinen die gleichen geblieben zu sein.
Andrea (Samstag, 15 Februar 2020 08:40)
Flashback in die 1960er, 1970er und vielleicht auch noch 1980er Jahre was den nicht vorhandenen Dialog zwischen Lehrern und Eltern betrifft. Bei uns im Blindeninternat war es genauso. Wir wurden schulisch gut gefördert, aber die Eltern durften nur an An- und Abreisetagen die Internatsräume betreten. Wurde man an den Wochenenden abgeholt und den Wochenanfängen wieder zur Schule gebracht, mussten einen die Eltern an der Pforte abgeben, und man musste sein schweres Gepäck, wenn es viel war, in mehreren Etappen, in die Internatsräume tragen. Bis wir in den Neubau umzogen, der Umzug fand 1981 statt, gab es nur in Ausnahmefällen für uns die Möglichkeit, mit unseren Eltern zu telefonieren. Wir kleinen Kinder wurden im Kindergarten und der ersten Volksschulklasse (Grundschule in Österreich) auf unsinnige Weise bestraft. Z.B. wurde mir im Kindergarten mein Teddybär nach dem Mittagessen abgenommen, und ich musste mich ohne ihn zum Mittagsschlaf hinlegen, weil ich als letztes Kind mit dem Mittagessen fertig war. Das ist die härteste Situation, an die ich mich erinnere, weil sie jeden zweiten Tag vorkam, immer wenn eine bestimmte Erzieherin Dienst hatte. Ich saß - bestimmt nicht nur einmal - gefühlte zwei Stunden allein im Aufenthaltsraum vor einem nicht aufgegessenen Teller. Einmal, weiß ich noch, war es Grenadiermarsch. Ich war fünf Jahre alt. Bestimmt fielen mir noch andere im Nachhinein fragwürdige Beispiele ein. Mit Kindern kann man es ja machen, besonders mit behinderten Kindern, die sich nicht wehren können. Ich konnte diesen Artikel wirklich nur mit Mühe lesen und bin wütend auf diese Schule. Wie kann man nur im Jahr 2020 so wenig Transparenz zulassen? Was hat diese schule zu verbergen? Das sind Fragen, die in meinem Förderinternatgeschädigten Kopf sofort auftauchen. Ich weiß ja immerhin, was unser Internat zu verbergen hatte, und wie sehr unsere Persönlichkeit dort unterdrückt wurde. Ich war dabei! Und auch ich wolte meinen Eltern zeigen, dass ich mich dort wohlfühle, um stark zu sein, um nicht als wehleidig dazustehen, um meinen Eltern keine Sorgen zu bereiten. Eine Erzieherin sagte mir, alsich sieben Jahre alt war, als ich weinte, weil ich mich gerade von Mama verabschiedet hatte: „Ein so ein großes Mädchen wird doch nicht weinen!“ Das signalisierte mir, dass Weinen eine Unart bedeutet. Dabei ist weinen ein sehr wichtiger Gefühlsausdruck. Sorry, dass ich so viel von mir erzähle. Ich will damit sagen, dass Ihr genau das Richtige tut. Bleibt an Eurem Kind dran, bleibt misstrauisch und pocht auf Transparenz. Und wenn sie nicht gegeben ist, überlegt Euch, für Henri eine Schule zu suchen, in der er individuell besser gefördert wird. Für mich klingt diese Schule nicht wie eine Schule, sondern wie eine Unterbringungsstätte für mehrfach behinderte Kinder. Wir hatten auch mehrfach behinderte Kinder in unserer Blindenschule. Die allerdings wurden in Lesen und Schreiben etc. gefördert. Was Du da an lebenspraktischen Förderungen beschreibst, war bei uns eher Aufgabe des Internats. Aber keiner musste den Hof putzen etc. Das ist für mich ganz klare Ausbeutung. OK, Handarbeiten und Kochen lernten wir auch, aber so wie in Regelschulen im richtigen Verhältnis zum Lehrplan. Ich wünsche Euch allen viel Kraft. Mir bleibt ein ganz widerlicher Beigeschmack nach dem Lesen Deines Artikels. Ich persönlich würde mich nicht wohlfühlen, wenn mein Kind einen Tag länger in dieser Schule sein müsste.
henri-mittendrin@die Freundin und allerliebste Förderschullehrerin (Freitag, 14 Februar 2020 14:24)
Dies ist ein überarbeitete Version meines Kommentars vom 12.02.2020.
In einem dreieinhalbstündigen Gespräch mit Klassenlehrerin und stellvertretender Schulleitung wurde heute deutlich, dass verschiedene Situationen unterschiedlich wahrgenommen wurde und es vermutlich zu gegenseitigen Fehlinterpretationen gekommen ist. Insbesondere bezüglich eines Situation fühlte die Klassenlehrerin sich völlig missverstanden. Das, was ich wahrgenommen habe, hat mich verunsichert und auch entsetzt. Ich bin sehr froh, dass wir dies heute klären konnten und wir bezüglich dieses sensiblen Themas einer Meinung sind. Im Nachhinein bedaure ich, mich nicht noch einmal versichert zu haben ob es wirklich so gemeint ist wie von mir empfunden. Dieser Teil meines Kommentars tut mir sehr leid - und ich bitte Sie, wenn Sie das jetzt lesen, aufrichtig um Entschuldigung.
Und jetzt zum ersten Kommentar: Meine liebe (liebste) Förderschullehrerin, was gäbe ich darum, wenn du Henri unterrichten würdest! Es hat mich eine gewisse Überwindung gekostet, so offen über unsre Unzufriedenheit zu schreiben.Die ausführlichen Nachrichten, die du mir heute den ganzen Tag über geschickt hast, zeigen mir, dass es richtig war. Ich darf unzufrieden sein und mehr erwarten. Danke auch für deine Einschätzung bezüglich Henris Förderplan. Er ist völlig allgemein gehalten, nicht individualisiert und quasi für jedes Kind jederzeit anwendbar. Man könnte ihn eigentlich von Schuljahr zu Schuljahr übernehmen. Es gibt darin keine konkreten Angaben zum Ist-Stand und Lernmaterial - ein Plan dieser Güte ist schnell erstellt (#copyandpaste). A apropos Kochen, Backen etc... Kannst du dir vorstellen, dass Henri schon drei Kissen mit nach Hause gebracht hat? Zwei hat er genäht, ein drittes bemalt. Das eigentlich Traurige ist, dass er keinerlei Verbindung zu den Gegenständen hat. Er legt sie zu Hause ab und schaut sie nie wieder an. Seine letzte Lehrerin sagte immer, Henri habe keine Lust zum Basteln ... vermutlich wurde ihm das auch als mangelnde Motivation ausgelegt. Meine Begründung, dass bei uns KEINER gerne bastelt, hat sie nicht so recht überzeugt. Ich stelle mir gerade vor, ich wäre an einer Förderschule und müsste jeden Tag basteln, nähen, kochen und Werkzeug pflegen ... WIE schrecklich! Warum soll ein Kind, nur weil es eine geistige Behinderung hat, all diese Dinge so überaus häufig tun? Warum mutet man ihm das Basteln von merkwürdigen Dingen zu und lässt ihn nicht einfach Klavier spielen? Das trainiert Finger und Gehirn mindestens genauso gut. Den zitierten Satz habe ich auch noch aus dem Studium in Erinnerung - wenn ich mich richtig erinnere, war es Rogers, der ihn prägte. Kannst du nicht mal eine Fortbildung für Förderschullehrer anbieten und mit genau diesem Satz beginnen? Genau hinschauen, wo das Kind steht und es dort abholen.
Vanessa (Freitag, 14 Februar 2020 12:31)
Da kommt mir doch glatt die Tränen! Normalerweise habe ich nicht viel Zeit, aber den Artikel habe ich jetzt mal bis zum Schluss gelesen. Das klingt wirklich nicht gut, für Henry tut es mir furchtbar leid, ich hoffe ihr bekommt das irgendwie verarbeitet. Das wäre auf unserer Schule völlig undenkbar, das ist der Moment an dem ich sehr dankbar bin dass es mir so wunderbar getroffen hat. Für euch tut es mir wirklich leid, Ich bin wirklich entsetzt. Nicht nur dass ich finde dass grundsätzlich das Verhalten der Schule merkwürdig bist nicht in Ordnung ist, das mit dem Essen ist einfach unmöglich. Ich drücke euch die Daumen das ihr eine Lösung findet mit der alle Beteiligten in Zukunft ein gutes Gefühl haben
Bettina Krück (Freitag, 14 Februar 2020 09:14)
Ich bin sprachlos. Das, was ich an den hiesigen Förderschulen gesehen habe (ich durfte hospitieren und hatte auch bei allen Schulen KOntaktdaten der Lehrkräfte) hat mich schon schockiert. Aber bei deinem Bericht musste ich wirklich Tränen unterdrücken. Ich wünsche Euch viel Kraft!
henri-mittendrin@Nadine (Donnerstag, 13 Februar 2020 10:21)
Hallo Nadine, wie schön, dass ihr mit Fionas Förderschule so zufrieden seid - was du schreibst, klingt richtig klasse! Henri hat die Schule gewechselt, weil er sich an seiner alten Schule als einziges (offensichtlich) behindertes Kind immer mehr nach Kontakt und Freunden gesehnt hat, wie es es für andere Kinder seines Alters selbstverständlich ist. Ich habe es auch in diesem Artikel geschrieben: Henri war in seiner Klasse an der Waldorfschule zwar beliebt und bekam von seinen Mitschülern immer Unterstützung, wenn er etwas brauchte, aber in den Pausen stand er dennoch oft allein auf dem Schulhof. Je älter die Kinder / Jugendlichen wurden, umso unterschiedlicher wurden die Interessen. Insofern ist es auch verständlich , dass der Kontakt außerhalb der Unterrichtszeiten immer weniger wurde. Lies zum Beispiel hier: hier: https://www.henri-mittendrin.de/2018/05/02/er-hat-geweint/ Zuletzt hatte Henri "Freunde" so schmerzlich vermisst, dass wir uns nach einer Alternative umgesehen haben. Von dem Wechsel an die Förderschule, wo es normal ist, anderes als andere zu sein, hatten wir uns erhofft, er dort mehr Kontakt mit Gleichaltrigen hat, möglichst auch außerhalb der Schule. Und wie ich geschrieben haben, fühlt Henri sich tatsächlich wohl in seiner neuen Schule. Insofern könnte ich nicht sagen, dass wir - wie du schreibst - "die falsche Schule" gewählt haben. Henris Wohl / dass er sich gut und angenommen fühlt, wird für uns immer den höchsten Stellenwert haben - NACH Bildung und Kulturtechniken. Ich bin sehr sicher, dass Henri an den inklusiven Schulen (mit denen wir vor dem Schulwechsel in Kontakt waren) einen deutlich anspruchsvolleren und seinen Fähigkeiten angemesseneren Unterricht bekäme. Er würde dort mehr Kulturtechniken lernen und müsste dies nicht zu Hause tun. Handarbeit und Hauswirtschaft hätte er auch, aber nicht in diesem unverhältnismäßig großen Umfang. Was die Förderung und das Lernen betrifft, könnte man tatsächlich von "der falschen Schule" sprechen. Aber weil es eben nicht nur darum geht, ist es trotz unserer Unzufriedenheit aktuell nicht die falsche Schule, denn Henri geht gerne dorthin. Dennoch erwarten wir, dass Henri auch an einer sog. Förderschule individuell gefördert wird und seine bereits erworbenen Kompetenzen weiter wachsen können - im Sinne einer möglichst selbstbestimmten Zukunft. Derzeit haben viele Schulen zwar einen inklusiven Ansatz, aber dennoch haben behinderte Kinder oft eine Ausnahmestellung. Es sind schlicht zu wenige Kinder da... Richtige inklusion wäre es, wenn alle Kinder von Förderschulen auf "normale" Schulen gehen würden und die vielen Förderlehrer und Hilfskräfte dort integriert würden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Lehrer dort mehr belastet wären, denn sie hätten sehr (und unvorstellbar) viele neue Kollegen an ihrer Seite an ihrer Seite und könnten im Team arbeiten. Aber das ist in Deutschland (noch) Zukunftsmusik.
Steffi (Mittwoch, 12 Februar 2020 18:45)
Hallo Doris,
ich habe jetzt bisher nur etwa die Hälfte deines Blogeintrages gelesen und muss sagen:
ich bin jetzt schon ganz frustiert. Als Elternteil würde ich mich an dieser Schule nicht wohl,
nicht angenommen und auch nicht ernst genommen fühlen. Irgendwie völlig aussen vor
und nicht dabei. Wie gefällt es Henri denn an der Schule? Ist er dort glücklich?
Wenn nicht, ganz ehrlich, würde ich aufgrund deiner schlechten Erfahrungen, mich nach
einer anderen Schule umschauen. Es gibt bestimmt auch noch mehr Förderschulen in eurem
Umkreis die anders arbeiten (also transparter sind und eine andere, positivere, Haltung gegenüber den Eltern pflegen).
Die Freundin - und die verwirrte Förderschullehrerin :) (Mittwoch, 12 Februar 2020)
Liebe Doris,
wie du weißt, könnte ich hier jetzt einen Roman schreiben, was ich an anderer Stelle bereits getan habe. Also hier nur kurz:
Mit Schrecken habe ich heute deinen Blogeintrag gelesen, ausgedruckt, nochmals gelesen... Zuerst war ich empört, dann dachte ich, dass ich als Förderschullehrerin im inklusiven Bereich einer Grundschule wohl sehr viel (oder alles?) falsch mache... Kochen, backen, tanzen - all dies spielt in meinem Unterricht nur eine untergeordnete Rolle oder wenn ich ehrlich sein soll, gar keine Rolle. Nicht nur, weil MIR da die Begabung fehlt ;)
Dann war ich wieder empört und zum ersten Mal glücklich NICHT an einer Förderschule zu arbeiten, wenn dort so festgefahrene, unflexible Strukturen herrschen.
Vielleicht ist es gut, dass im inklusiven Bereich nur noch selten ein IQ ermittelt wird. Ob das Kind dann geistigbehindert oder "nur" lernbehidert" ist, wissen wir gar nicht - und somit auch nicht, ob es lesen und schreiben lernen "muss" oder kann (oder DARF?) oder nicht. Es ist auch grundsätzlich erstmal egal. Also bieten wir es ALLEN Kindern an. (Genauso bekommen alle Kinder Zeugnisse und alle Kinder erbringen auf unterschiedliche Art Leistungsnachweise.) Denn wie du schreibst: Die Fähigkeit lesen und schreiben zu können, wird in allen Lebensbereichen vorausgesetzt und wenn man es nicht beherrscht, wird man "behindert" ;) in vielen Bereichen, wie z.B. soziale Teilhabe, Kommunikation ,Selbstständigkeit, Orientierung, Normalsein...
Ein Satz, den ich in meinem Studium ständig hörte war: "Man holt das Kind da ab, wo es steht." Und damit ist eigentlich auch alles gesagt - egal ob nicht behindert, lernbehindert, geistigbehindert! Und das ist in eurer Förderschule leider absolut nicht der Fall. Diese absolut fehlende Transparenz finde ich übrigens auch sehr befremdlich....
Alles Liebe für Euch :)
Monika (Mittwoch, 12 Februar 2020 13:23)
Gut, dass es selbst in dieser Situation Trost für Henri gab! So wird ihm hoffentlich die grundsätzlich positive Haltung zu seiner Förderschule nicht allzu sehr verleidet. Und schön, dass die Sonne wieder ein wenig scheint … Monika
henri-mittendrin@Monika (Mittwoch, 12 Februar 2020 11:49)
Danke dir herzlich für deine einfühlsamen Worte, liebe Monika! Zu lange habe ich mich um diesen längst angekündigten Beitrag herumgedrückt - der gestrige Vorfall hat das Fass nun zum Überlaufen gebracht. All meine bisherigen Bemühungen waren vergebens, Ideen und Wünsche wurden zurückgewiesen. Ich bin nun etwas ratlos. Henri ging es heute Morgen tatsächlich wieder besser. Beim Frühstück war er fast gesprächig ;-) und hat nochmals von gestern und den Fischstäbchen gesprochen. Er hat auch wieder die Handbewegung, den strengen Ton und das "du MUSST" der sog. pädagogischen Fachkraft nachgemacht und erzählt, wer ihn beim Weinen getröstet hat.
monika (Mittwoch, 12 Februar 2020 11:03)
Dieser schon so lange erwartete Eintrag tut mir in der Seele weh ... wie können Dinge dermaßen im Argen liegen, wenn doch so viele Mittel zur Verfügung stehen? Habt Ihr eine Möglichkeit, Henri aus dieser "Anstalt" wieder herauszunehmen und ihm ein "normaleres" Umfeld zu ermöglichen, wie er es zuvor hatte? Da sich ja die Hoffnung auf mehr Kontakte außerhalb der Schule auch nicht erfüllt hat, ja, Kontakte geradezu unterbunden werden, sollte dadurch definitiv ein Gewinn für Henri zu erwarten sein ...
Dass sich etwas bewegen wird/könnte, das glaube ich aus eigenen Erfahrungen mit Institutionen eher nicht. Und wenn doch, dann vielleicht in einem Vierteljahrhundert, aber das erlebt Ihr wohl nicht mehr und Henri auch nicht. (Tut mir leid, da so negativ zu schreiben, aber ich habe das Gefühl, dass Henri durch diese "Förderung" schon viel wertvolle Lebenszeit "ungefördert" verschenkt hat - und vielleicht kann sich ja in seiner Schulzeit noch etwas ausgehen, wenn er wieder in ein besseres Umfeld käme?)
Wie auch immer Ihr entscheiden werdet, ich hoffe auf das Beste für Henri und Euch alle zusammen und dass er nicht mehr traurig sein muss, weil ihm glutenhaltige Fischstäbchen aufgezwungen werden. Hoffentlich ist schon heute (denn das ist ja "morgen") alles wieder gut!
Alles Liebe!
Monika
Papa Dirk (Mittwoch, 12 Februar 2020 01:55)
Liebe Doris,
vielen Dank, dass du in deinem Blog unsere Erfahrungen mit der Förderschule so offen, ehrlich und treffend beschreibst. Es wäre wirklich toll, wenn sich dort etwas in die richtige Richtung bewegen würde - für Henri und die vielen anderen Kinder!
Liebe Grüße
Dirk,