Freunde - Tag für Tag begleitet uns dieses Wort - Henri sagt es leise vor sich hin, er flüstert es, wenn er mit traurigem Blick auf dem Sofa liegt und ich ihn frage, wie es ihm geht. Mit diesem einen Wort ist alles gesagt - es braucht keine weiteren Worte. Ein schwacher und nur kurz vorhaltender Trost kann sein, wenn ich mit ihm zusammen seine Freunde auf- und dabei an den beiden Händen abzähle. "Siehst du, sooo viele Freunde hast du - sage ich und fühle mich mies, weil wir doch beide wissen, dass die Kinder/ Jugendlichen ihn zwar mögen - aber Freunde sind es nicht. Es sind immer die gleichen Kinder, die er dann aufzählt: Zwei Nachbarskinder, zwei Kinder aus der Reha in Tannheim (zu denen er seitdem keinen Kontakt mehr hat) , seine Cousine, sein Cousin und Juri, der wohl am ehesten die Kriterien für einen Freund erfüllt. Der Hund ist jedenfalls immer für ihn da und er kann auch trösten.
Die meisten Kinder sind nett mit Henri und machmal spielen sie auch mit ihm - er wird nicht ausgegrenzt und gehört doch nicht dazu. Wie sich Dazugehören anfühlt - das erlebt Henri bei uns zu Hause, auch wenn er seine Oma besucht und wir uns mit der Familie meines Bruders treffen - da ist er tatsächlich mittendrin. Dass man auch außerhalb der Familie ein Gefühl der Zugehörigkeit (man könnte es auch Teilhabe nennen) haben kann, erlebt er jeden Tag, wenn Amelie mit Freundinnen telefoniert, chattet, sich mit ihnen verabredet, am Wochenende bei ihnen schläft oder zu Geburtstagen eingeladen ist. Manchmal schreibt er WhatsApp-Nachrichten an seine "Freunde" (die jedoch in Wahrheit Amelies Freunde sind) , fast immer mit dem gleichen Inhalt: Amelie hat keine Freunde. Sie schafft es selten, darüber zu stehen, in der Regel nicht ... ich kann sie ja verstehen.
Freunde, vielmehr Henris immer stärker werdender Wunsch nach Freundschaften war der wichtigste Grund, warum wir ihn vor einem guten Jahr an der Förderschule angemeldet haben. Ich hatte gehofft, dass er in der Schule mehr Austausch hat, aber auch, dass er wie andere Kinder manchmal Besuch haben wird, dass er sich mit anderen Kindern treffen kann - ein Stückweit Normalität hatte ich ihm gewünscht. Im vergangen Jahr hatten wir nicht einmal Besuch von einem Kind seiner Schule, es gab kein einziges Treffen nach der Schule. Henri wurde seit zwei Jahren nicht zu einem Kindergeburtstag eingeladen, weder von Mitschülern noch von anderen Kindern. Die Lehrer sagen, Kontakte nach der Schule seien schwierig, die Schule hätte einen relativ großen Einzugsbereich. Es seien auch nicht alle Eltern so engagiert und man könne das auch nicht zwingen. In der Förderschule gibt es einen (ebenfalls geistig behinderten ) Jungen, den Henri unglaublich gerne mag - ein Besuch dieses Jungen bei uns zu Hause wäre das Größte für ihn. Ich suche seit Monaten Kontakt mit den Eltern und die Mutter schrieb mir, sie sei beschäftigt, sie habe keine festen Arbeitszeiten, ihr Vater sei krank... Ich war zäh, habe immer wieder angeboten, M. abzuholen und wieder heimzufahren oder Henri zu M. zu fahren ... ich würde alles tun, um Henri diesen Gefallen zu tun - aber es soll wohl nicht sein. Zum Konzept der Förderschule und wie es Henri dort geht, schreibe ich mal einen extra Blogbeitrag. Für heute sei nur gesagt, dass er dort leider keine Freunde gefunden hat.
Schon vor den Sommerferien habe ich einen Aktionsplan mit einem klaren Ziel entworfen. Wir müssen das Kind unter die Leute bringen sagte ich mir und bin mit Dirks Unterstützung schon ein gutes Stück weitergekommen. Zunächst habe ich mir überlegt, was er gerne tut und dabei ist mir das Tanzen eingefallen - seit über drei Monaten geht er schon zum Hip-Hop des örtlichen Turnvereins - ihm gefällt's und mir auch, wenn ich ihn am Freitagnachmittag nach dem Training gut gelaunt abhole. Die Trainerinnen sind richtig nett, offen und bemüht - und auch wenn Henri dort wohl keine Freunde finden wird (in seiner Gruppe sind Mädels etwa zwischen 8 und 12) , ist das Tanzen neben Schwimmen und Fitnessstudio ein schöner Sport und Ausgleich für ihn.
Beim Nachdenken darüber, was Henri interessiert, ist mir natürlich auch Feuerwehrmann Sam eingefallen und ich fragte mich, ob es wohl möglich wäre, dass Henri mal bei der Jugendfeuerwehr reinschnuppert. Ich hätte kaum gewagt, zu fragen, aber Dirk war mutiger und sie haben ihn tatsächlich aufgenommen. Dafür bin ich den Leitern der sehr aktiven Jugendfeuerwehr wirklich dankbar! Es gibt dort auch einen weiteren Jungen mit Down-Syndrom, M. ist bereits 18 und nimmt Henri ein bisschen unter seine Fittiche :-). Heute hat die Jugendfeuerwehr einen Ausflug in einen Freizeitpark gemacht und auch Henri war dabei ... ohne Assistenz, aber dennoch gut aufgehoben, besser sogar.
Ich teile diesen Blogeintrag auf Facebook, wo er vielleicht auch von Menschen in unserer näheren Umgebung gelesen wird. Wenn jemand von euch eine weitere gute Idee hat, wie wir Henri Freizeitkontakte, wie sie für andere Jungs in seinem Alter selbstverständlich sind, ermöglichen könnten, freue ich mich sehr über eure Nachricht. Danke!
23. August 2019
#Aktionsplan: Erste Kontakte bei der örtlichen Feuerwehr 🚒
28. August 2019 - Henri feiert seinen 17. Geburtstag
Der Tag beginnt mit unserem traditionellen Singen am Bett, beim Frühstück waren wir noch zu viert. Das schönste Geschenk war ganz sicher sein neues (unzerkratzes ;-) Capt'n Sharky Lineal.
28. August 2019
Marie und Elias sind aus Tübingen und Heidelberg gekommen und wir verbringen einen Tag alle zusammen. Das Bootfahrten auf dem Weiher war natürlich Henris Wunsch und die Süßkartoffelpommes im veganen Restaurant auch.
30. August 2019 - Silodrom Saarbrücken
#Aktionsplan ;-): Come together - Open Air Rave für Menschen mit und ohne Behinderung
War richtig gut und wird auf jeden Fall wiederholt !
12. September 2019
Wir besuchen Henri bei seinem zweiten Praktikum in der Werkstatt für angepasste Arbeit.
Zwei Wochen hat Henri an diesem Arbeitsplatz verbracht und zeigt uns nun stolz, wie er die zwei Teile zusammenfügt. Alle sagen, die Arbeit gefalle ihm gut - wir haben noch zwei Jahre Zeit gerade erst angefangen, uns zu informieren, was es inner- und außerhalb der Werkstatt für Möglichkeiten gibt.
Kommentar schreiben
Carmen (Sonntag, 29 September 2019 08:27)
Hallo zusammen, dass Henry bei der Jugendfeuerwehr ist finde ich total klasse. Macht einfach weiter so, ich finde ihr seid auf dem richtigen Weg, ihr macht das gut.
Nach Möglichkeiten suchen, die ihn „mittendrinsein“ lassen. Ich sehe in der Werkstatt viele Freundschaften, die auch außerhalb gepflegt werden. Da finden Treffen zuhause statt, es werden WhatsApp geschrieben oder sich zu gemeinsamen Freizeiten angemeldet. Macht euch nicht zu viele Gedanken, stärkt ihn indem was er bereits hat und baut weiter darauf auf. Alles Andere kommt oft von ganz allein.
Bei der Heinrich Kimmle Stiftung haben wir einen Integrationsdienst. Hier wird versucht Menschen mit Beeinträchtigungen den Weg auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, oft mit großem Erfolg. Wenn die Hürden manchmal doch zu groß sind, schaffen es die KollegenInnen trotzdem wenigstens ein Praktikum zu ermöglichen. So konnte letztens einem jungen Mann, der in der Werkstatt bei den Gärtnern arbeitet, ein großer Traum erfüllt werden. Ein 14 tägiges Praktikum bei der deutschen Bahn. Sein Berufswunsch ist nämlich Lokführer.�
Ganz liebe Grüße
Carmen
henri-mittendrin @ Carmen (Sonntag, 29 September 2019 18:34)
Hallo Carmen, danke für deine Gedanken aus einem anderen Blickwinkel, dem des „Profis aus der Werkstatt.“ Ich denke auch, dass wir auf einem guten Weg sind - wobei es Henri sicher zugute kam/kommt,
dass wir uns viele Gedanken machen und ihn immer mit wachen Augen begleiten. Wir wissen, dass nicht alles planbar ist - andererseits haben wir schon oftmals erleben dürfen, dass es gut war, nicht
abzuwarten und darauf zu vertrauen, dass irgendwie alles gut wird, sondern auch Entscheidungsbedarf zu erkennen und entsprechend in Henris Sinne zu handeln. In diesem Sinne sind wir nun eingestiegen
in das weite Feld des Teilhabegesetzes. Viele Grüße an dich und deine Lieben
Monika (Montag, 30 September 2019 21:42)
Ich nehme an, dass ich nicht "zählen" würde, aber *falls* Henri Mails schreiben/Fotos austauschen/ etc. möchte, dann dürft Ihr ihm gern meine Adresse geben, und ich verspreche, dass er auf seine Nachrichten / seinen Kontakt auch Antwort bekommt. - Ich fürchte, mehr kann ich grade nicht anbieten ... :-(
Alles Liebe! Monika
henri-mittendrin @ Monika (Montag, 07 Oktober 2019 08:32)
Hallo Monika, das ist ein lieb gemeintes Angebot. Henris Umgang mit WhatsApp ist speziell: Er schätzt es vor allem, aus für ihn besonders eindrücklichen Situationen heraus Nachrichten schreiben zu können. Er schickt Fotos vom Mond, Sonnenuntergang oder berichtet, wenn er sich gerade über etwas gefreut oder geärgert hat. Meist bekommt er direkt Antwort, aber die ist dann für ihn nicht mehr so wichtig und ich halte ihn oft an, den freundlichen Schreibern (fast alle aus dem Familienkreis) zu antworten. Danke trotzdem, dass du ihm etwas Gutes tun möchtest! Liebe Grüße nach Österreich ��
Monika (Dienstag, 08 Oktober 2019 23:58)
WhatsApp habe ich ohnehin nicht in Betrieb - ich schreibe noch "altmodische" Mails ... umso weniger passe ich wohl zu Henri. Schade - ich hätte gern ein Angebot gehabt ... na, falls Euch vielleicht einmal etwas einfallen sollte, wofür ich "geeignet" sein könnte, dann lasst es mich bitte wissen.
Monika