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Einmal quer durch Deutschland - oder: Auf dem Weg...

 

Wundert euch nicht über die Aktualität dieses Blogeintrags - an Tag zwei des Untersuchungsmarathons nutze ich die freie Zeit als Beifahrerin im Sinne eines Versuchs der inneren Klärung. "Klärung" passt - denn die Richtung, in die es gehen wird, ist mittlerweile tatsächlich klar. 

Gestern waren wir mit Henri in einem Zentrum für  Wirbelsäulenchirurgie  im heimischen Saarland. Für die offene und kompetente Beratung des Chefarztes, zu dem wir bisher nur im Rahmen einer früheren Klassengemeinschaft Kontakt hatten, waren wir sehr dankbar. Bei allem Kummer und manchmal auch verzweifelten Momenten bin ich so froh, dass es Menschen gibt , die uns - jede*r auf ihre/seine Weise - unterstützen und uns helfen, nach vorne zu blicken. Obwohl ich manche seit Monaten oder Jahren nicht gesehen habe, ist die Verbindung, in die wir durch Henri gekommen sind, geblieben. Fühlt euch angesprochen ihr Lieben, die ihr mir nächtliche Nachrichten, Drücker und Umarmungen schickt!

Als sei es eine Art Ärztecode, sagt auch er - wie schon der niedergelassene Orthopäde und vor diesem zwei Kinderorthopäden, dass das in Richtung OP geht. Nachdem er Henri untersucht hat, erklärt er uns anhand von Röntgenbildern und verschiedener Modelle erst einmal den Istzustand. Henris Morbus Scheuermann sei so ausgeprägt, dass eine konservative Therapie (Physiotherapie oder Korsett) zu einer Besserung nicht geeignet sei. Man müsse davon ausgehen, dass sich der Zustand im Laufe der nächsten Jahre so verschlimmert, dass auch die jetzt noch gering vorhandene Restflexibilität verloren geht, was einen operativen Eingriff in ein paar Jahren auf jeden Fall schwerer mache. Dass ein Teil der Wirbelsäule immer noch etwas beweglich sei, sei ein Vorteil, der Henri im Falle einer Operation in der nächsten Zeit zugute komme. Auch wenn es keine guten Nachrichten sind, die er für uns hat - sie nehmen uns etwas von dieser quälenden Ungewissheit und mir auch ein Stückweit die große Angst, mit der Entscheidung zu einer OP eine falsche, weil nicht wohlüberlegte Entscheidung  zu treffen.

Nun bleibt nur noch eine Adresse, von der wir uns eine Aussicht auf eine konservative Behandlung erhoffen können. Vor wenigen Wochen noch völlig unwissend, habe ich mittlerweile viele Patientenberichte gelesen, wo eine Operation durch konsequente Physiotherapie und/oder Korsetttragen vermieden oder zumindest hinausgezögert werden konnte. Die meisten dieser Patienten scheinen aus der Schroth-Klinik Bad Sobernheim zu kommen.

Mit einem Stapel von Befunden und Röntgenbildern aus den letzten zwei Jahren sitzen wir im Wartezimmer und sind gespannt, wie der Chefarzt wohl den Zustand von Henris Wirbelsäule einschätzen wird. Wenn es noch eine Chance gibt, um diese Operation herumzukommen, dann wird er uns sicher raten , sie zu nutzen.

Er beginnt mit einer eingehenden Untersuchung und spricht schon währenddessen von einer schweren Kyphose. Auch er ist ein Arzt mit viel Erfahrung - während er vor Jahren in einem großen Wirbelsäulenzentrum operierte, ist sein Schwerpunkt nun die spezielle Therapie nach Katharina Schroth.

Er will ehrlich sein - so sagt er... Es wäre nicht richtig, wenn er uns zuraten würde, abzuwarten und es erst einmal konservativ zu versuchen. Wie schon der Orthopäde gestern spricht er von einer geringen Restflexibilität in der Wirbelsäule, die nicht nur die Operation selbst einfacher mache, sondern auch einen größeren Operationserfolg verspreche. Er würde nicht raten, abzuwarten. Man würde Zeit verlieren, so wie die letzten sechs Jahre (sagt er), als wir uns wegen des Rückens gesorgt hatten, die Symptomatik aber ärztlicherseits als Haltungsschwäche interpretiert wurde. So wie die letzten beiden Jahre, als der Morbus Scheuermann zwar erkannt war, die Orthopäden jedoch der Meinung waren, außer guter Haltung und hin und wieder ein wenig Physiotherapie könne man nichts machen. Damals hatte ich auch Dr. Google befragt und weil auch er der Ansicht war, dass ein Morbus Scheuermann nur in extrem seltenen Fällen operiert werden muss, hielt ich die Einschätzung dieser Orthopäden für glaubhaft.

... Kaum lässt der Kontrollfreak mal ein wenig los - passiert so was... Wenn Henri einer dieser extrem seltenen Fälle wäre, würden die Ärzte es doch sehen ... hatte ich mir gedacht...

Zurück in die Schroth-Klinik: Nachdem die Richtung nun unzweifelhaft ist, sprechen wir mit dem Arzt über die Operation und wieder ergeben sich für uns Aspekte, die wir vorher nicht bedacht hatten. Und auch wenn er uns arg lobt :-), wie gut informiert wir seien und wie wir Zusammenhänge sehen (Was machen Sie eigentlich beruflich? ;-), wird uns wieder einmal klar, wie wenig wir eigentlich wissen und mit welcher Naivität wir vor sechs Wochen mit Henri zum Skoliosecheck gegangen sind. Ihm würde es zum Beispiel - wie in einem geplanten Procedere beschrieben - nicht genügen, vor einer Operation einfach nur das ASS wegzulassen. Er betont, wie wichtig es ist, das GANZE Kind zu sehen - nicht nur den Rücken, sondern auch die kardiale Problematik und weitere Besonderheiten, die sich zum Beispiel aus dem Down-Syndrom ergeben könnten. Er spricht von möglicherweise auffälligen Blutgerinnungswerten, die bei manchen Syndromen vermehrt auftreten. Er betont, welch große Bedeutung die Anästhesie hat und dass es diesbezüglich Unterschiede zwischen den Kliniken gibt. Jedoch lobt er auch die Auswahl unserer ins Auge gefassten Kliniken - Top-Adressen, genau die richtigen

Wir verlassen die Klinik mit einer Hoffnung weniger, dafür mehr Klarheit und der Zuversicht, auf einem guten und vertretbaren Weg zu sein. Und wenn (morgen und den kommenden Wochen) die Chefärzte der Wirbelsäulenzentren eine Operation für erforderlich und auch vertretbar halten, sehe ich uns in der Verantwortung, Henri die Aussicht auf ein auch weiterhin schmerzfreies Leben zu ermöglichen. Und mich zur Ordnung zu rufen, wenn ich manchmal den Impuls verspüre, am liebsten aus dieser Verantwortung  "auszusteigen". Es geht um Henri und mein Versprechen, ihn auf seinem Weg zu begleiten. Dieser Blick weg von mir und hin zu ihm war mir oft schon eine große Hilfe, mit dem scheinbar Unerträglichen umzugehen.Für Henri.

 

23. Oktober 2018

Rast in Bad Kreuznach -  noch sieben Stunden Fahrt liegen vor uns.

Bei heißer Schokolade und glutenfreien Broten mit Tomatenmark und Käse ist Henri guter Dinge :-).

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Kommentare: 3
  • #1

    Oma (Dienstag, 23 Oktober 2018 23:26)

    Ich bin bei euch und denke immer an euch, an Henri, an dich Doris und an dich Dirk - und auch an seine Geschwister Marie, Elias und Amelie - in all euren Sorgen um Henri. Ich wünsche euch Kraft und Zuversicht für eure Entscheidung.

  • #2

    Gabriela (Mittwoch, 24 Oktober 2018 07:26)

    Ich bin berührt und beeindruckt. Ich wünsche euch die Kraft aus der Entscheidung. Wie gut, dass ihr nicht alleine seid und dass ihr durch eure Reise deckungsgleiche Rückmeldungen bekommend und euch daher nicht zusätzlich zerreissen müsst.
    Weiterhin alles Gute, Beste...
    Gabriela

  • #3

    good (Donnerstag, 25 Oktober 2018 22:30)

    Endlich habt ihr den Arzt eures Vertrauen gefunden, der sehr viel Erfahrung hat und euch wirklich gut aufgeklärt hat und euch einigermaßen ---etwas, oder wenigstens ein kleines bisschen---- beruhigen konnte .
    Unser Henri und auch ihr Henris Eltern seit große Kämpfer !!!!!!!
    Ich wünsche Henri und auch dir liebe Doris und dir lieber Dirk sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen für die kommende schwere Zeit, für den steinigen Weg auf dem ihr Henri wieder einmal begleiten werdet.
    Ich bin mit guten Gedanken bei euch und bin auch , wenn ihr Hilfe braucht gerne bereit euch zu helfen.
    Good