Er hat geweint ... mein großer tapferer Junge hat geweint. In der Schule und später auch zu Hause.
Ich hätte wohl gar nicht davon erfahren, wenn mir Henris nicht I-helferin später davon berichtet hätte, als wir schon zu Hause waren. Im Musikunterricht habe sich Henri - der eigentlich unauffällige Schüler - vor die Klasse gestellt und laut weinend darüber geklagt, dass er keine Freunde hat. Die Kinder und der Lehrer hätten versucht, ihn zu trösten, aber wenn dieses traurige Gefühl über ihn kommt, gibt es keinen Trost für ihn. Ich will beste Freunde - wie oft habe ich das nun schon gehört und das Klagen wird immer lauter.
Als ich ihn zu Hause darauf anspreche, winkt Henri zunächst ab und verlässt mit einem coolen nee, nee den Raum... kommt dann aber zurück und weint sich seinen Kummer ein zweites Mal von der Seele. Danach verschwindet er mit seinem Handy in seiner Ecke im Bad und auch meinen Trost mag er nicht: Mama geh weg, ich muss mich beruhigen!, sagt er unter Tränen. Wieder einmal beeindruckt er mich: Das ist weder kindlich noch pupertär - der Vorsatz, sich erst einmal zu beruhigen, zeigt Henris Reife und innere Stärke.
Nach einiger Zeit kommt er zurück ins Wohnzimmer und spielt mit noch feuchten Augen Freude schöner Götterfunken und Weißt du, wie viel Sternlein stehen auf dem Klavier. Er setzt sich nicht einmal hin und ist doch ganz bei der Sache. Immer wieder spielt er seine beiden Lieblingsstücke. Danach googelt er auf dem Handy Freude schöner Götterfunken, stellt die Lautstärke hoch und dirigiert so gefühlvoll wie lange nicht.
Später geht es ihm wieder besser - aber die Sehnsucht bleibt.
2. Mai 2018
Mit feuchten Augen spielt er Freude schöner Götterfunken und Weißt du, wie viel Sternlein stehen.
Natürlich ist längst nicht alles traurig - wenn Henri mit seiner Fahne draußen sein darf (und zumindest ein wenig Wind geht ;-), ist die Welt meistens in Ordnung. Gerne zeige ich euch (und mir) auch Fotos von der hellen, sonnigen Seite.
1.Mai 2018
Die erste Maiwanderung zu dritt. Amelie ist mit Freundinnen klettern und die beiden Großen genießen den Tag in Tübingen und Heidelberg. Dass Marie und Elias dank WhatsApp mit ihren Fotos und Kommentaren meist ganz dicht dabei sind, macht uns froh :-).
21. April 2018
Beim traditionellen Großfamilienausflug auf der Schlüsselblumenwiese. Henri freut sich immer schon Monate vorher auf die blühenden Schlüsselblumen, denn sie läuten den lang ersehnten Frühling ein. Ein besonderer Gruß und Dank geht an Cousin und Cousine und ihre lieben Eltern, die alles tun, um Henri beste Freunde zu sein.
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Kirsten (Freitag, 11 Mai 2018 09:42)
Liebe Doris,
wir haben ja schon darüber gesprochen. Aber die Geschichte von Henri's Weinen liest sich sehr traurig. Bei der Vorstellung dass meine Schulbegleitung das gleiche berichtet hätte, kann ich mir ungefähr vorstellen, wie du dich dabei fühlst. Deswegen wollte ich deinen Blog Eintrag nicht kommentarlos lesen. Mein Zwerg kann das nicht so reflektieren und in Worte fassen. Aber das Gefühl ist bei ihm vermutlich ähnlich. Ob eine bessere Reflektionsfähigkeit in dem Fall besser oder schlechter ist, wer weiß das schon? Es ist egal,weil ich es nicht ändern kann. Ich schätze es ist das Alter, in dem unsere Kinder sich (immer im Rahmen ihrer individuellen kognitiven Grenzen) ihrer Behinderung, ihres Andersseins und ihres Einzelgängertums bewußt werden. Für mich als Mutter ist das sehr schwer. Ich habe versucht mit mit ihm zu sprechen, ich habe ihn die Erfahrung machen lassen, dass er nicht der einzige ist, dem es so geht, wir bemühen uns ihm zu zeigen, dass mit der Familie und den engen Freunden immer Menschen für ihn da sein werden - aber das alles ändert nicht viel. Ich fürchte das ist die Herausforderung beim Erwachsenwerden für meinen Zwerg, sich klar darüber zu werden, dass er immer so viel weniger können und haben wird als die anderen und ganz alleine irgendwie seinen Frieden damit zu schließen.
Und meine Herausforderung als Mutter ist es aushalten zu lernen, dass Erwachsenwerden von meinem Zwerg eben auch heißt, ihm nicht mehr bei allem helfen zu KÖNNEN.
Ich drücke Euch die Daumen, dass ihr bald eine gute Schule für Henri findet und wenigstens das Problem, dann eine schnell Lösung erfährt.
glG! Kirsten
Steffi (Freitag, 11 Mai 2018 21:39)
Armer Henry :( Er tut mir in der Seele leid. Ich kann seine Verzweiflung gut verstehen.
Vielleicht findet er in der neuen Schule Freunde. Ich hoffe es für ihn. Kontakte zu gleichaltrigen Jugendlichen (mit Beeinträchtigung) wäre cool, dann wäre es vielleicht leichter für ihn jemanden zu finden? Nicht-Behinderte Jugendliche haben andere Interessen (erste Liebe,...) als mit einem Jungen Freundschaft aufzubauen und zu halten der diese Interessen noch nicht teilt oder andere Interessen hat. Die "Toleranz" kommt erst später wieder, vorausgesetzt es wurden Erfahrungen mit behinderten Menschen ermöglicht. Behinderungen, ob sichtbar oder unsichtbar, werden in unserer Gesellschaft immer noch als Manko angesehen. So tolerant die Menschen auch erscheinen mögen, viele sind es nicht! So viel zum Thema "Inklusion"... davon sind wir, in meinen Augen, leider noch meilenweit entfernt.
henri-mittendrin (Freitag, 18 Mai 2018 09:34)
Liebe Kirsten, ja, wer könnte besser nachfühlen, wie es mir gerade geht? Ich fand den Allerweltssatz mit „große Kinder- große Sorgen“ immer ziemlich oberflächlich und platt - aber jetzt, nachdem die ersten Jahre gezeigt haben, wie schwierig und mit welchem Kraftaufwand unser Kampf für Illusion verbunden war- kommt mir der Satz doch immer wieder in den Kopf. Wie schön war es die ersten Jahre im Kindergarten und Grundschule und man hat gehofft, dass es in dieser Qualität weitergeht. Einschätzungen von der „Schere, die immer weiter aufgeht“ wollte ich nicht hören. Nun, wo klar ist, dass es in unserem Raum keine Schule gibt, die Inklusion-so wie ich sie mir vorstelle- anbietet, scheint die Förderschule für Henri tatsächlich die beste Lösung zu sein- sie ist sozusagen alternativlos. Wir bleiben in Verbindung! LG!
henri-mittendrin (Freitag, 18 Mai 2018 09:48)
Liebe Steffi,
du begleitest uns ja jetzt auch schon einige Jahre und bekommst mit, dass es nicht gerade einfacher wird - die böse vielzizitierte ✂️ lässt auch Henri nicht ungeschoren. Auch wenn ich vollkommen nachvollziehen kann, dass die Kinder sich mit zunehmendem Alter immer weniger für Henri Interessen, tut es dennoch weh! Ich hoffe sehr, dass er an der neuen Schule eine neue Heimat finden und vielleicht sogar Freunde wird. Unsere ersten Eindrücke waren sehr gut. Liebe Grüße!