... Na ja, nicht so richtig - die letzten Wochen waren und sind - auf verschiedenen Schauplätzen - eine Herausforderung. Zeit und vor allem Kraft scheinen knapp wie nie. Aber ich will nicht klagen (weiß schon, dass die Zeit so gerecht wie sonst kaum etwas auf der Welt verteilt ist) ... nur erklären, warum hier seit über 6 Wochen nichts mehr Neues zu lesen war.
An Henri liegt es ganz sicher nicht: Der Schulbeginn in der neuen Klasse ist ihm nicht schwergefallen, ganz im Gegenteil - das ist das Allerwichtigste, die beste Nachricht der letzten Wochen! Die Kinder, insbesondere natürlich die Mädels, ;-) sind ihm offen und freundlich zugewandt. Als nach einem Wiederholerjahr auf der Montessori-Grundschule endgültig der Wechsel auf eine weiterführende Schule anstand, war Henri alles andere als begeistert. Wie oft haben wir mit ihm darüber gesprochen, dass auch seine Freunde und Freundinnen ab dem neuen Schuljahr in eine andere Schule gehen werden.... Er konnte und wollte es nicht verstehen und ich war etwas in Sorge, ob er sich den Einstieg in der Waldorfschule nicht selbst schwer machen wird.
Etwas unsicher war er schon, als er zum ersten Mal mit Amelie die Treppen zum Kleinen Haus hinaufging - es war ihm anzusehen, dass es ihn Überwindung kostete, aber wie so oft zeigten sich auch am ersten Schultag seine "Beißerqualitäten" (wie Dirk es nennt). Er biss sich also durch und wurde belohnt - die Schule tut ihm - wie erhofft - sehr gut. In den ersten Wochen fiel mir vor allem seine innere Ruhe / Ausgeglichenheit auf. Beim Abholen sehe ich ihm immer als erstes in die Augen und bin erleichtert, wenn mir Freude und Zufriedenheit entgegenkommen. Die Berichte von Henris Integrationshelferin - Angela - bestätigen mein Gefühl. Zwar hält auch an der neuen Schule das Böckchen nicht immer hinterm Berg - aber Angela schafft es, es im Zaum zu halten. Amelies Berichten zufolge sind die anderen Jungs wohl oft ziemlich laut und wild - sehr zum Leidwesen der Mädels, die man meist ihm Kleingruppen schwatzend oder kichernd antrifft. Einmal sagte sie in der Schulküche ganz spontan (und sicher ohne Gedanken an seine Behinderung) zu mir: Henri ist der einzige normale Junge in der Klasse. Da musste ich doch lachen :-)
Ich werde oft gefragt, wie Amelie mit ihrer neuen Rolle als "große kleine Schwester" zurechtkommt: Es könnte wohl kaum besser sein: Gut, dass sich das Rübchen nicht in der Fürsorge für Henri verliert. Gerade gestern hat sie mir auf unserem sonntäglichen Spaziergang erzählt, dass Henri eigentlich eher mit anderen Mädchen als mit ihr unterwegs ist (die finden den voll süß :-)... sie jedoch ein Auge darauf hat, ob jemand womöglich eine Bemerkung über ihn macht - zum Beispiel, dass er "irgendwie komisch" ist. Dann werde ich voll aggro" sagt das Rübchen und ich glaube ihr aufs Wort ;-) Solche Situationen scheinen jedoch - wenn sie überhaupt schon vorkamen - die Ausnahme zu sein - jedenfalls hat Amelie noch von keinem konkreten Vorfall berichtet.
Bisher ist Henri mit Ausnahme der tägliche Förderstunde immer im Klassenverband - teilweise sind die 38 Kinder in 2 Gruppen geteilt. Ziel der Förderstunden ist seit Schulbeginn die Stärkung der Basalsinne - Henri malt und bastelt vor allen Dingen.
(Ab-)Schreiben übt er, wenn er im Rahmen des Unterrichts wie alle anderen von der Tafel abschreibt. Wer seine englischen Texte liest, kann kaum glauben, dass Henri wohl kaum etwas von dem, was da säuberlich im Heft steht, mit dem Verstand durchdrungen hat. Aber vielleicht täuschen wir uns alle und es gibt außer der rein schreibtechnischen und sozialen Ebene (für Henri ist es sehr wichtig, das zu tun, was auch die anderen machen) noch eine andere, von der wir nichts wissen. Die "Förderstunden" im Bereich des sinnentnehmenden Lesens und Schreibens finden am Nachmittag statt - zu Hause, wie gehabt. Diese Stunden verlangen uns beiden viel ab und wir sind jedes Mal froh, wenn Henri wieder mit seiner Fahne nach draußen gehen kann. Heute hat er sich gar bedankt (!) ... Als ich ihn fragte wofür?, grinste er nur ... vermutlich eher für die Entlassung als für die mütterliche Unterstützung ;-) An Geduld für Henri mangelt es mir in diesen Stunden nicht - meist genieße ich es sogar, mich einmal am Tag ausschließlich einem Kind widmen zu dürfen. Was mich am meisten fordert, ist die Motivationsarbeit, die leider Teil meines Jobs ist, und die oft sehr viel Kraft kostet.
Ich hatte es im Kommentar zu meinem letzten Eintrag schon angedeutet: Nach den Ferien wird die Klasse einen neuen Klassenlehrer bekommen - als wir uns vor den Sommerferien von Herrn K. verabschiedet haben, waren wir noch voller Freude, dass nun auch Henri in seine Klasse gehen darf. Mit viel Herz, Offenheit und Mut zu neuen Wegen hatte er mit seinem Einsatz den Wechsel an die Waldorfschule erst möglich gemacht. Wir werden wir ihm und seiner Familie immer in großer Dankbarkeit verbunden sein.
Aber nun heißt es für uns, nach vorne zu blicken und uns neuen Herausforderungen zu stellen. Immerhin ist Henri das erste und bisher einzige Kind mit geistiger Behinderung - bewährte Wege gibt es (noch) nicht. Wir hoffen auf vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Schule, an deren Entwicklung wir schon seit Maries Eintritt in den Kindergartenjahr im Jahr 1998 teilhaben.
Das Drachensteigenlassen im September hat an unserer Schule schon lange Tradition. Wie immer hat sich die Unterstufe bei schönstem Wetter am nahe gelegenen Bexbacher Flugplatz versammelt. Die Fotos hat Dirk mit seinem alten Handy gemacht - unsere Kinder kann ich in dem Gewimmel nicht ausmachen;-) Aber auf dem Foto unten rechts seht ihr Henri, der nach einer Weile keine Lust mehr hatte und Angela den Drachen übertragen hat.
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