Ganze Sätze sind nicht gerade Henris Stärke, wenn man auch sagen muss, dass deren Häufigkeit im Lauf des letzten Jahres doch zugenommen hat. Dieser eine Satz war - bezogen Wortwahl und Grammatik- perfekt. Und dennoch: Er hat mich tief getroffen, auch wenn mir natürlich längst klar ist, dass das Leben mit einem behinderten Kind Herausforderungen der besonderen Art bereithält, die mit dem Lebensalter wohl auch an Komplexität zunehmen. Bin halt nur noch nicht so vertraut damit.
Seit vielen Monaten sucht Henri in der Schule näheren Kontakt zu einem Kind. Zunächst wollte er gerne bei dem Jungen übernachten - wochenlang sprach er mich jeden Tag an, ich solle doch die Mutter anrufen, um etwas auszumachen ("ausmachen" gehört längst zu Henris aktivem Wortschatz;-) Es zeigte sich jedoch bald, dass das Interesse wohl eher einseitig ist - nicht, dass der Junge etwas gegen Henri hätte, aber er hat auch nicht so viel für ihn übrig. Henris I-Helferin erklärte ihm ganz lieb, dass die Familie leider keine zusätzliche Matratze hat, auf der Henri schlafen könnte. Dies akzeptierte er erst einmal - dann jedoch fragte er, ob der Junge nicht bei uns schlafen könnte - wir haben ja Gästematratzen. Aber auch das ließ sich nicht umsetzen, weil der Junge "sehr viele Termine hat". Auch diese Erklärung der I-helferin fand ich gut gewählt ... damit lässt sich doch leben ... und sie kam auch wieder zum Einsatz, als Henri nur um einen Besuch des Jungen bat ... Termine, Termine ... Trotzdem hat es mir in der Seele weg getan, Henri auf den Heimfahrten ablenken zu müssen von seinem großen Wunsch nach einem Treffen mit genau diesem Jungen. Heute nun hatte er sich in den Kopf gesetzt, am Wochenende gemeinsam mit ihm ins Freibad zu gehen. Beim Abholen kam ich gerade darüber hinzu, wie er sich einen Korb geholt hat. Er war nicht unfreundlich oder gar gemein, sondern einfach nur klar. Genauso klar wie die Tatsache, dass die beiden längst einen "Termin " gefunden hätten, wenn Henri nicht ein Chromosom mehr hätte.
Bevor Henri ins Auto stieg, hat er die Situation mit seinen begrenzten sprachlichen Mitteln noch einmal zusammengefasst und mit diesem Satz geschlossen. Danach fing er zu weinen und zu schluchzen an. Ich kann mich nicht nicht erinnern, wann ich Henri einmal aus Traurigkeit habe weinen sehen. Zu Hause weint er, wenn er sich weh getan hat und manchmal schreit er vor Wut, wenn etwas nicht so läuft, wie er es sich wünscht. Heute weinte er aus Enttäuschung und weil er tatsächlich tieftraurig war - wie treffend er seine Worte in diesem einen Satz gewählt hat!
(Natürlich ist mir klar, dass selbst ein Sonnenhenri - wie jedes andere Kind - auch einmal aus Traurigkeit weinen darf.)
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